Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil
die Larvenaus den Eiern kriechen sollten. Sie waren fest überzeugt, sie so gut eingeschlossen zu haben, daß die allermeisten Hungers
sterben mußten.
Und dann kamen die Larven früh im Sommer, und es waren ihrer viel mehr als im vergangenen Jahr. Aber das machte ja nichts,
wenn sie nur eingeschlossen waren und sich nichts zu fressen verschaffen konnten.
Aber es ging nun nicht gerade so, wie man gehofft hatte. Freilich blieben Larven an den Leimruten hängen, und eine ganze Menge
wurden von den Fanggürteln verhindert, von den Bäumen herunterzukommen, aber daß sie eingesperrt waren, konnte man nicht sagen.
Sie waren außerhalb des Geheges und sie waren innerhalb desselben. Sie waren überall. Sie krochen auf den Landstraßen, auf
den Zäunen, an den Wänden der Häuser. Sie gingen aus dem Gebiet des Hegewaldes in die anderen Teile des Kolmårds über.
»Sie halten nicht inne, ehe der ganze Wald zerstört ist,« sagten die Menschen. Sie waren in der größten Not und konnten nicht
in den Wald kommen, ohne Tränen in den Augen zu haben.
Karr hatte einen solchen Ekel vor alledem, was da kroch und nagte, daß er sich kaum überwinden konnte, aus der Tür hinauszugehen.
Aber eines Tages fand er doch, daß er ausgehen müsse, um sich einmal nach Graufell umzusehen. Er schlug den kürzesten Weg
zu dem Bereich der Elche ein und lief schnell, die Schnauze am Boden. Als er an die Baumwurzel kam, wo er im vergangenen Sommer
mit Hilflos gesprochen hatte, lag dieser wieder da unten und rief ihn an: »Hast du Graufell erzählt, wasich dir sagte, als wir uns zum letzten Male sahen?« fragte die Natter. Karr bellte nur und suchte Hilflos näher zu Leibe
zu kommen. »Das solltest du wirklich tun,« sagte die Natter. »Du siehst ja, daß die Menschen keine Abhilfe für die Zerstörung
wissen.« – »Und du auch nicht.« erwiderte Karr und setzte seinen Weg fort.
Karr traf Graufell, aber der Elch war so niedergeschlagen, daß er kaum guten Tag sagte. »Ich weiß nicht, was ich darum geben
würde, wenn ich diesem Elend ein Ende machen könnte,« sagte er. »Dann will ich dir doch erzählen, daß man sagt, du könntest
den Wald retten, erwiderte Karr und überbrachte ihm den Gruß der Natter. – »Wenn es jemand anders als Hilflos wäre, der dies
Versprechen gäbe, würde ich augenblicklich in die Verbannung gehen,« sagte der Elch, »Aber wie kann eine elende Natter die
Macht haben?« – »Es ist natürlich nichts weiter als Prahlerei,« sagte Karr. »Nattern tun immer so, als wenn sie klüger sind
als andere Tiere.«
Als Karr nach Hause ging, gab ihm Graufell das Geleite. Da hörte Karr, daß eine Drossel, die in dem Wipfel einer Tanne saß,
zu rufen begann: »Da geht Graufell, der den Wald zerstört hat! Da geht Graufell, der den Wald zerstört hat!«
Karr glaubte, er müsse sich verhört haben, aber einen Augenblick später kam ein Hase über den Weg gelaufen. Als der Hase sie
erblickte, stand er still, wedelte mit den Ohren und rief: »Da kommt Graufell, der den Wald zerstört hat!« Und dann nahm er
die Beine auf den Nacken und jagte davon.
»Was meinen sie nur damit?« fragte Karr. – »Ichweiß es nicht recht,« antwortete Graufell »Ich glaube, die kleinen Leute hier im Walde sind böse auf mich, weil ich den Rat
erteilte, die Hilfe der Menschen zu suchen. Als das Unterholz gefällt wurde, sind alle ihre Nester und Schlupfwinkel vernichtet.«
Sie gingen noch eine Strecke zusammen, und Karr hörte, wie von allen Seiten gerufen wurde: »Da geht Graufell, der den Wald
zerstört hat!« Graufell tat, als höre er es nicht, Karr aber verstand jetzt, warum er so niedergeschlagen war.
»Sage mir doch, Graufell,« sagte Karr plötzlich, »was meinte die Natter damit, daß du diejenige getötet hast, die sie am innigsten
auf der ganzen Welt geliebt hat?« – »Wie kann ich das wissen,« entgegnete Graufell. »Du weißt doch selbst, daß es nicht meine
Art ist, jemand zu töten.«
Bald darauf begegneten sie den vier alten Elchen: Krummrück, Hornkrone, Struwwelmähne und Großkraft. Sie kamen langsam und
sinnend, einer nach dem anderen dahergegangen. »Willkommen im Walde!« rief Graufell ihnen entgegen. – »Danke, gleichfalls!«
antworteten die Elche. »Wir waren gerade auf dem Wege zu dir, Graufell, um mit dir über den Wald zu ratschlagen.«
»Die Sache ist die,« nahm Krummrück das Wort, »daß uns zu Ohren gekommen ist, es sei eine Untat hier im Walde verübt,
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