Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil
– »Das fürchte ich auch,« entgegnete Karr, »aber die Alten im Walde wissen wohl, was
sie tun.« – »Ich glaube, ich könnte einen besseren Ausweg finden,« sagte die Natter, »wenn ich nur den Lohn erhielte, den
ich haben will.« – »Bist du nicht der, den sie Hilflos nennen?« sagte der Hund höhnisch. – »Ich bin alt im Walde geworden,«
sagte die Natter. »Ich weiß wohl, wie man dergleichen Ungeziefer los wird.« – »Kannst du es uns nur wegschaffen,« sagte Karr,
»so wird dir gewiß niemand verweigern, was du verlangst.«
Als Karr dies sagte, schlüpfte die Natter unter eine Baumwurzel und setzte die Unterhaltung nicht fort, ehe sie wohlgeborgen
in einem engen Loch lag. »Dann kannst du Graufell grüßen und sagen,« fauchte sie, »wenn er aus dem Hegewald fortziehen und
sich nicht niederlassen will, ehe er so weit gen Norden gekommen ist, wo keine Eiche mehr im Walde wächst, und nicht hierher
zurückkehren will, solange die Natter Hilflos lebt, so will ich Krankheit und Tod über alle die senden, die auf den Tannen
kriechen und an ihnen nagen!« – »Was sagst du da?« fragte Karr und seine Haare sträubten sich zu Borsten. »Was hat dir Graufell
zuleide getan?« – »Er hat die getötet, die ich am innigsten auf der Welt geliebt habe,« sagte die Natter, »und ich will Rache
an ihm nehmen.« Ehe die Natter noch ausgeredet hatte, fuhr Karrauf sie ein, sie aber lag wohlgeborgen unter der Baumwurzel. »Lieg' du da, solange du Lust hast!« sagte Karr. »Wir wollen
schon ohne deine Hilfe mit den Tannenlarven fertig werden.«
Am nächsten Tage gingen der Gutsbesitzer und der Holzwärter einen Waldweg entlang. Anfänglich lief Karr neben ihren, bald
aber war er fort, und kurz darauf vernahm man ein lautes Bellen aus dem Walde heraus. »Das ist Karr, der jagt,« sagte der
Gutsbesitzer. Der Holzwärter wollte das nicht glauben. »Karr hat seit vielen Jahren keine unerlaubte Jagd getrieben,« sagte
er. Er lief in den Wald hinein, um zu sehen, was für ein Hund das sei, und der Gutsbesitzer folgte ihm.
Sie gingen dem Hundegebell nach, bis in den tiefsten Teil des Waldes hinein, aber es verstummte. Sie standen still, um zu
lauschen, und da, in der Stille, hörten sie die Kiefern der Larven arbeiten, sahen, wie die Nadeln herabregneten und spürten
den starken Duft. Und da entdeckten sie auch, daß alle Bäume mit Larven von Nonnenfaltern bedeckt waren, mit diesen kleinen
Baumschädlingen, die Wälder meilenweise zerstören können.
Der große Nonnenkrieg
Im nächsten Frühling kam Karr eines Morgens durch den Wald gelaufen. »Karr, Karr!« rief jemand hinter ihm drein. Karr wandte
sich um. Er hatte sich nicht geirrt. Es war ein alter Fuchs, der vor seiner Höhle stand und ihn rief. »Du mußt mir wirklich
sagen, ob die Menschen etwas für den Wald tun?« fragte der Fuchs. »Ja,das kannst du mir glauben,« sagte Karr, »sie arbeiten mit allen Kräften.« – »Sie haben meiner ganzen Sippe das Leben genommen,
und mich werden sie auch wohl noch ums Leben bringen,« sagte der Fuchs. »Aber das soll ihnen verziehen sein, wenn sie nur
dem Walde helfen.«
Karr kam in diesem Jahr niemals durch das Dickicht, ohne daß ihn nicht irgend jemand fragte, ob die Menschen nicht helfen
könnten. Es war nicht so leicht für Karr, darauf zu antworten, denn die Menschen wußten selber nicht, ob es ihnen gelingen
würde, die Nonnen auszurotten.
Wenn man daran denkt, wie gehaßt und gefürchtet der alte Kolmård einstmals war, mußte man sich wundern, zu sehen, daß jeden
Tag über hundert Mann tief drinnen im Walde gingen und arbeiteten, um ihn vor der Zerstörung zu erretten. Sie fällten die
Bäume, die am meisten Schaden gelitten hatten, rodeten das Unterholz und hauten die untersten Zweige ab, damit es den Larven
nicht so leicht werden sollte, von Baum zu Baum zu kriechen. Sie holzten große Gürtel rings um den zerstörten Wald aus und
legten dort Leimruten, um die Larven einzuschließen und sie zu hindern, sich in andere Gebiete zu verbreiten! Als das getan
war, legten sie Leimringe und Fanggürtel um die Baumstämme. Damit beabsichtigten sie, die Larven zu verhindern von den Bäumen
herabzukriechen, die sie schon kahl gefressen hatten, und sie zu zwingen zu bleiben, wo sie waren und zu verhungern.
Die Menschen setzten diese Arbeiten bis weit in den Frühling hinein fort. Sie machten sich große Hoffnungen und warteten fast
mit Ungeduld darauf, daß
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