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Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Titel: Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selma Lagerloef
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und
     weil sie nicht bestraft wurde, fällt der ganze Wald der Vernichtung anheim.« – »Was für eine Untat ist denn das?« – »Jemand
     hat ein unschädliches Tier getötet, das er nicht essen konnte. So etwas gilt hier im Hegewald als Untat,« – »Wer hat einen
     solchenBubenstreich verübt?« fragte Graufell.– »Es soll ein Elch sein, und wollten wir dich fragen, ob du weißt, wer das sein kann.«
     – »Nein,« sagte Graufell, »ich habe nie von einem Elch gehört, der ein unschädliches Tier getötet hat.«
    Graufell verließ die Alten und ging weiter mit Karr. Er war noch schweigsamer als bisher und ließ den Kopf tief hangen. Dann
     kamen sie an der Kreuzotter Kryle vorüber, die auf ihrem Stein lag. »Da geht Graufell, der den Wald vernichtet hat!« fauchte
     Kryle so wie alle anderen. Jetzt war es vorbei mit Graufells Geduld. Er ging auf die Otter zu und erhob das eine Bein. »Hast
     du vielleicht die Absicht, mich totzuschlagen, wie du ein armes Natternweibchen getötet hast?« fragte Kryle. – »Hab' ich ein
     Natternweibchen getötet?« fragte Graufell. – »Am ersten Tage, als du hier in den Wald hinauskamst, hast du das Weibchen der
     Natter Hilflos totgeschlagen!«
    Graufell entfernte sich schnell von Kryle und schritt an Karrs Seite weiter dahin. Plötzlich stand er still. »Karr, ich habe
     die Untat verübt. Ich habe ein unschädliches Tier getötet. Es ist meine Schuld, daß der Wald vernichtet wird.« – »Was sagst
     du da?« unterbrach ihn Karr. – »Sage der Natter Hilflos, daß Graufell noch diese Nacht in die Verbannung geht!« – »Nie werde
     ich so etwas sagen,« entgegnete Karr. »Es ist eine gefährliche Gegend für Elche da oben im Norden.« – »Meinst du, daß ich
     hier bleiben will, wenn ich so etwas verübt habe?« sagte Graufell. – »Übereile dich nun nicht! Warte mit deinem Vorhaben bis
     morgen!« – »Du selberhast mich gelehrt, daß die Elche Eins sind mit dem Walde,« erwiderte Graufell, und mit diesen Worten trennte er sich von
     Karr.
    Karr ging nach Hause, aber diese Unterhaltung hatte ihn unruhig gemacht, und schon am nächsten Tage ging er wieder in den
     Wald hinaus, um den Elch zu treffen. Aber Graufell war nirgends zu finden, und der Hund suchte auch nicht lange nach ihm.
     Er begriff, daß Graufell die Natter beim Wort genommen hatte und in die Verbannung gegangen war.
    Auf dem Heimwege war Karr in einer Stimmung, die nicht zu beschreiben ist. Er konnte nicht begreifen, daß Graufell sich von
     der elenden Natter vertreiben lassen wollte. Er hatte nie etwas Ähnliches erlebt. Welche Macht hatte denn so ein Hilflos?
    Als Karr in diese Gedanken versunken dahintrottelte, gewahrte er den Holzwärter, der zu einem Baum hinaufzeigte. »Wonach siehst
     du?« fragte ein Mann, der neben ihm stand, – »Es ist Krankheit unter den Larven ausgebrochen,« sagte der Holzwärter. Karr
     war ungeheuer erstaunt, aber er war im Grunde noch mehr ärgerlich darüber, daß die Natter imstande gewesen war, Wort zu halten.
     Nun war Graufell wohl gezwungen, eine ewige Zeit wegzubleiben, denn diese Natter starb scheinbar nie.
    Aber mitten in Karrs allergrößter Betrübnis fiel ihm etwas ein, das ihn ein wenig tröstete. »Vielleicht wird die Natter doch
     nicht alt,« dachte er, »immer kann sie doch nicht unter der Baumwurzel liegen! Sobald sie uns die Larven vom Halse geschafft
     hat, weiß ich jemand, der sie tot beißen wird!«
    Es war wirklich Krankheit unter den Larven ausgebrochen, aber im ersten Sommer griff sie nicht sonderlich um sich. Sie hatte
     sich kaum gezeigt, als die Zeit kam, wo die Larven zu Puppen werden. Und aus den Puppen krochen Millionen von Schmetterlingen.
     Jede Nacht flogen sie wie ein Schneegestöber zwischen den Bäumen herum und legten eine unzählige Menge Eier. Im nächsten Jahr
     mußte man auf noch größere Zerstörungen vorbereitet sein.
    Die Zerstörung kam, aber nicht nur über den Wald, sondern auch über die Larven selbst. Die Krankheit breitete sich schnell
     von dem einen Teil des Waldes auf den anderen aus. Die kranken Larven hörten auf zu fressen, krochen in die Wipfel der Bäume
     hinauf und starben. Es herrschte große Freude unter den Menschen, als sie sie sterben sahen, aber noch größere Freude herrschte
     unter den Tieren im Walde.
    Karr, der Hund, ging Tag aus, Tag ein umher und dachte mit grimmiger Freude an den Tag, an dem er es verantworten konnte,
     Hilflos totzubeißen.
    Aber die Larven hatten sich meilenweit

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