Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil
meinten, daß sie es sehr schön für das Eichhörnchen eingerichtet hätten und wunderten sich, daß es nicht gedeihen
wollte. Es saß im Gegenteil niedergeschlagen und unwirsch in einer Ecke seiner Stube, und von Zeit zu Zeit stieß es einen
lauten Klageschrei aus. Es rührte das Essen nicht an und drehte das Rad nicht ein einziges Mal herum. »Es ist gewiß bange,«
sagten die Leute auf dem Bauernhof. »Morgen, wenn es sich erst heimischer fühlt, wird es schon essen und spielen.«
Nun traf es sich so, daß die Frauen im Bauernhof Anstalten zu einem Festschmaus trafen, und gerade an dem Tage, als das Eichhörnchen
gefangen wurde, fand großes Backen statt. Und entweder hatten sie Unglück mit dem Teig gehabt, so daß er nicht aufgehen wollte,
oder auch sie waren langsam bei der Arbeit gewesen, denn sie waren noch lange nach Hereinbruch der Dunkelheit damit beschäftigt.
Es herrschte natürlich großer Eifer und Geschäftigkeit in der Küche, und niemand ließ sich Zeit, daran zu denken, wie es dem
Eichhörnchen ergehen mochte. Indem Hause war aber eine alte Frau, die war zu alt, um noch an dem Backen teilzunehmen. Das begriff sie selbst sehr wohl,
aber sie mochte doch nicht gern so außerhalb des Ganzen stehen. Sie war betrübt, und deswegen ging sie nicht zu Bett, sondern
setzte sich an das Fenster in der Stube und sah hinaus. In der Küche hatten sie der Hitze halber die Tür aufgemacht, so daß
der klare Lichtschein auf den Hof hinausströmte. Es war ein Hofplatz mit Gebäuden nach allen Seiten, und es wurde so hell
dort, daß die alte Frau die Risse und Löcher im Kalkputz an der Mauer gegenüber erkennen konnte. Sie sah auch den Eichhörnchenkäfig,
der gerade an der Stelle hing, auf die der Lichtschein am allerstärksten fiel, und sie beobachtete, wie das Eichhörnchen die
ganze Nacht aus seiner Stube in das Rad hinein und aus dem Rad wieder in die Stube sprang, ohne auch nur einen Augenblick
zu ruhen. Sie fand, daß das Tier von einer wunderlichen Rastlosigkeit befallen sei, aber sie glaubte natürlich, daß der grelle
Lichtschein es wach halte.
Zwischen dem Kuhstall und dem Pferdestall befand sich auf dem Hofe eine große Einfahrt, und die lag so, daß sie ebenfalls
beleuchtet wurde. Und als die Nacht bereits ein wenig vorgeschritten war, sah die alte Frau einen kleinen Knirps, der nicht
größer war als eine Handbreit, aber Holzschuhe und Lederhosen trug wie ein Arbeitsmann, leise und vorsichtig aus der Einfahrt
auf den Hof schleichen. Die alte Frau begriff sofort, daß es der Kobold sei, und sie wurde nicht im geringsten bange. Sie
hatte immer gehört, daß er sich dortauf dem Hofe aufhielt, obgleich sie ihn noch nie gesehen hatte, und ein Kobold hatte ja Glück im Gefolge, wo er sich zeigte.
Sobald der Kobold auf den gepflasterten Hof gekommen war, lief er geradeswegs auf den Eichhörnchenkäfig zu, und da der so
hoch hing, daß er ihn nicht erreichen konnte, holte er sich eine Stange aus dem Gerätschaftsschuppen, stellte sie an den Käfig
und kletterte daran in die Höhe, wie ein Seemann ein Tau entert. Als er an den Käfig hinaufkam, rüttelte er an der Tür des
kleinen grünen Hauses, als wolle er sie öffnen, aber die alte Frau war ganz ruhig, denn sie wußte, daß die Kinder ein Hängeschloß
vor die Tür gehängt hatten, aus Furcht, daß die Nachbarjungen versuchen könnten, das Eichhörnchen zu stehlen. Die alte Frau
sah, daß, als der Kobold die Tür nicht aufbekommen konnte, das Eichhörnchen in das Stahldrahtrad hinausging. Dort hielt es
eine lange Beratung mit dem Kobold ab. Und als der Kobold alles gehört hatte, was das gefangene Tierchen zu erzählen hatte,
rutschte er an der Stange herunter und lief zum Tore hinaus.
Die alte Frau dachte, sie würde in dieser Nacht nichts mehr von dem Kobold sehen, aber sie blieb trotzdem am Fenster sitzen.
Als eine kleine Weile vergangen war, kam er zurück. Er lief so schnell, daß sie kaum sehen konnte, wie seine Füße den Erdboden
berührten, und er eilte auf den Käfig zu. Die alte Frau mit ihren weitsichtigen Augen konnte ihn deutlich sehen, und sie konnte
auch sehen, daß er etwas in denHänden trug, aber was es war, konnte sie nicht begreifen. Das, was er in der linken Hand hatte, legte er auf das Steinpflaster,
aber das, was er in der rechten hatte, nahm er mit nach dem Käfig hinauf. Hier stieß er mit seinem Holzschuh gegen das kleine
Fenster, so daß die Scheibe zerbrach, und
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