Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil
auf, aber der weiße Gänserich blieb ganz ruhig grasend auf dem Felde. Als er die andern fliegen
sah, hob er den Kopf empor und rief ihnen nach: »Ihr braucht wirklich vor denen da nicht zu entfliehen. Es sind ja nur ein
paar Kinder!«
Der kleine Knirps, den der weiße Gänserich auf dem Rücken gehabt hatte, saß auf einem Erdhügel am Waldesrande und zerzupfte
einen Tannenapfel, um die Samenkörner herauszubekommen. Die Kinder waren so dicht in seiner Nähe, daß er nicht über das Feld
hinüber zu dem weißen Gänserich zu laufen wagte. Er versteckte sich schnell unter einem großen, welken Distelblatt und stieß
dabei einen warnenden Ruf aus.
Der Gänserich aber hatte offenbar beschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen. Er graste ruhig weiter auf dem Felde und
achtete nicht einmal darauf, wohin die Kinder gingen.
Die bogen indessen vom Wege ab, gingen über dasFeld und näherten sich dem Gänserich. Als der endlich aufsah, waren sie ganz in seiner Nähe, und nun erschrak er so und war
so verwirrt, daß er ganz sein Fliegen vergaß und zu laufen anfing, um ihnen zu entkommen. Die Kinder folgten hinterdrein,
jagten ihn in einen Graben und fingen ihn. Das größere von den beiden steckte ihn unter den Arm und ging mit ihm davon.
Als der Knirps, der unter dem Distelblatt saß, das sah, fuhr er in die Höhe, als wolle er den Kindern den Gänserich entreißen.
Aber dann fiel ihm ein, wie klein und machtlos er war, und er warf sich statt dessen auf den Erdhügel nieder und schlug mit
geballten Fäusten in die Erde hinein, ganz außer sich.
Der Gänserich schrie aus Leibeskräften um Hilfe: »Däumling, komm und hilf mir! Däumling, komm und hilf mir!« Aber da mußte
der Junge doch mitten in all seinem Kummer lachen. »Ja, ich bin wohl der Rechte, jemand zu helfen!« sagte er.
Die Kinder hatten einen großen Vorsprung, aber dem Jungen wurde es nicht schwer, sie im Auge zu behalten, bis er an eine Vertiefung
im Boden gelangte, wo ein Bach dahergebraust kam. Der war weder breit noch tief, aber er war trotzdem gezwungen, am Ufer entlang
zu laufen, bis er eine Stelle fand, wo er hinüberspringen konnte.
Als er aus der kleinen Schlucht herauskam, waren die Kinder verschwunden. Aber er konnte ihre Spuren auf einem schmalen Steig
sehen, der in den Wald führte, und er fuhr fort, sie zu verfolgen.
Bald kam er jedoch an einen Fahrweg, und hier mußten die Kinder sich getrennt haben, denn da waren Spuren nach zwei Richtungen
hin. Nun war der Knirps nahe daran, den Mut zu verlieren.
Im selben Augenblick aber sah er auf einem Heidehügel eine kleine weiße Daune. Er verstand nun, daß der Gänserich die am Wegesrande
hatte fallen lassen,, um ihm zu zeigen, nach welcher Seite er gebracht war, und er setzte deswegen seinen Weg fort. Und dann
folgte er den Kindern durch den ganzen Wald. Von dem Gänserich sah er nichts, aber überall, wo er unsicher in bezug auf den
Weg sein konnte, lag eine kleine, weiße Daune und zeigte ihn zurecht.
Der Knirps folgte getreulich den Daunen. Sie führten ihn zum Walde hinaus, über ein paar Felder, einen Weg entlang und schließlich
eine Allee hinauf bis an ein Schloß. Am Ende der Allee konnte man einen Schimmer von Giebeln und Türmen und roten Steinen
sehen, die mit hellen Streifen und Ornamenten geschmückt waren. Als der Knirps sah, daß da ein Schloß lag, konnte er sich
wohl denken, was aus dem Gänserich geworden war. »Die Kinder sind gewiß mit dem Gänserich nach dem Schloß gegangen und haben
ihn verkauft, und dann wird er wohl schon geschlachtet sein,« sagte er zu sich selbst. Aber er wollte sich nicht beruhigen,
ehe er richtigen Bescheid hatte, und lief noch eifriger weiter. Er begegnete niemand in der Allee, und das war ja gut. Denn
alle, die von seiner Art sind, pflegen sich davor zu fürchten, von Menschen gesehen zu werden.
Das Schloß, zu dem er kam, war ein prächtiges, altes Gebäude. Es bestand aus vier Flügeln mit einem Burghof in der Mitte.
An der Ostseite befand sich eine tiefe Torwölbung, die auf den Burghof führte. Soweit lief der Knirps, ohne sich zu bedenken,
als er aber dahin gekommen war, blieb er stehen. Er wagte nicht, sich weiter zu begeben, sondern stand still und dachte darüber
nach, was er nun tun sollte.
Er stand noch mit dem Finger an der Nase da, als er Schritte hinter sich hörte, und als er sich umwandte, sah er eine ganze
Schar Menschen die Allee hinaufkommen. Schnell schlüpfte
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