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Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil

Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil

Titel: Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selma Lagerloef
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hinter dem Hause aber lag ein Garten voller Bäume. Das Wohnhaus selbst war klein und
     unansehnlich, der Rasen aber war von einer Reihe mächtiger Ebereschen umkränzt, die so dicht nebeneinander standen, daß sie
     eine förmliche Wand bildeten, und dem Jungen war es, als sei er in einen prächtigen, gewölbten Saal gekommen. Über dem Ganzen
     wölbte sich ein blaßblauer Himmel; die Ebereschen waren gelb mit großen, roten Beerenbüscheln, das Gras war noch grün, aber
     das starke, klare Nordlicht warf einen solchen Glanz darauf, daß es so weiß wie Silber schimmerte.
    Kein Mensch war zu sehen, so konnte der Junge frei umhergehen, wo er wollte, und als er in den Garten kam, entdeckte er etwas,
     das ihn sofort in gute Laune versetzte. Er war auf eine kleine Eberesche geklettert, um sich ein paar Beeren zu pflücken,
     ehe er aber noch einen Büschel abgebrochen hatte, gewahrte er einen Faulbaum, der ebenfalls voller Früchte stand. Schnell
     ließ er sich von der Eberesche herabgleiten und kletterte auf den Faulbaum hinauf, kaum aber saß er dort, als er einen Johannisbeerbuscherblickte, an dem noch lange, rote Trauben hingen. Und nun sah er, daß der ganze Garten voll von Stachelbeeren, Himbeeren
     und Hagebutten war. Im Küchengarten standen Rüben und Kohlrabi in Hülle und Fülle, alle Büsche waren voller Beeren, jede Pflanze
     trug Samen, und die Grashalme hatten kleine Ären voller Körner. Und dort auf dem Gang – er hatte sich doch nicht geirrt? –
     nein, da lag wirklich ein großer, roter, schimmernder Apfel!
    Der Junge setzte sich auf die Rasenkante und machte sich daran, mit seinem Messer kleine Stücke von dem Apfel abzuschneiden.
     »Wenn man nur immer so leicht zu einer guten Mahlzeit kommen könnte wie hier auf dem Hofe, dann wäre es nicht gar so schlimm,
     ein Heinzelmännchen zu sein,« dachte er.
    Während er dasaß und aß, überlegte er, und schließlich fragte er sich selbst, ob es nicht vielleicht das beste wäre, wenn
     er gleich hier bliebe und die Wildgänse allein gen Süden ziehen ließe. »Ich weiß wirklich nicht, wie ich es dem Gänserich
     Martin erklären soll, daß ich nicht nach Hause reisen kann,« dachte er. »Es wäre gewiß besser, wenn ich mich ganz von ihm
     trennte. Ich könnte es ja machen wie die Eichhörnchen, könnte mir einen Wintervorrat sammeln, daß ich nicht zu verhungern
     brauchte, und ein warmes Eckchen im Kuhstall oder im Pferdestall würde ich schon finden, damit ich nicht zu erfrieren brauchte!«
    Wie er so dasaß und darüber nachdachte, hörte er ein leichtes Rauschen über seinem Kopf, und im nächsten Augenblick stand
     etwas neben ihm, das einem kleinenBirkenstumpf glich. Der Stumpf drehte und wendete sich, und zwei helle Punkte an dem oberen Ende schimmerten wie ein Paar
     glühende Kohlen. Es sah so aus wie der schrecklichste Zauberspuk, aber der Junge entdeckte sogleich, daß der Stumpf einen
     gekrümmten Schnabel hatte und ein Paar schwarze Federkränze um die glühenden Augen, und da beruhigte er sich wieder.
    »Wie angenehm, ein lebendes Wesen zu treffen,« sagte er. »Vielleicht könnten Sie, Frau Nachteule, mir erzählen, wie dieser
     Ort heißt, und was für Leute hier wohnen?«
    Die Nachteule hatte an diesem Abend wie an allen vorhergehenden Abenden auf einer Sprosse der großen Leiter gesessen, die
     an das Dach gelehnt stand und hatte auf die Kiesgänge und Rasenplätze herniedergelugt, um nach Mäusen auszuspähen. Aber zu
     ihrer Verwunderung hatte sich nicht einmal der Schwanz einer Maus blicken lassen. Statt dessen sah sie etwas, was einem Menschen
     glich, wenngleich es viel kleiner war, sich im Garten bewegen. »Da haben wir wohl den, der die Mäuse wegscheucht,« dachte
     die Nachteule. »Was für ein Wesen mag das nur sein?«
    »Es ist kein Eichhörnchen, und ein junges Kätzchen ist es auch nicht, und auch kein Wiesel,« dachte sie weiter. »Ich sollte
     doch denken, daß ein Vogel, der so lange wie ich auf einem alten Herrenhof gewohnt hat, alles kennen sollte, was es auf der
     Welt gibt. Aber dies hier geht über meinen Verstand.«
    Und sie starrte unverwandt auf das Ding nieder, das sich dort unten auf dem Kiesgang bewegte, bis ihre Augen glühten. Schließlich
     siegte doch die Neugier, und sie flogauf die Erde hinab, um den Fremden näher in Augenschein zu nehmen
    Als Niels Holgersen zu sprechen begann, beugte sich die Eule vor und betrachtete ihn genau. »Er hat weder Klauen noch Stacheln,«
     dachte sie, »aber wer

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