Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil
alten Herrenhof gewaltet hatte.
Es war indessen nicht so ganz leicht für sie, in die alte Heimat zu reisen, wie man hatte glauben sollen, denn der Hof war
an Leute verkauft, die sie nicht kannte. Sie zweifeltefreilich nicht daran, daß man sie freundlich aufnehmen würde, aber sie kam ja nicht nach dem alten Heim, um da zu sitzen
und mit fremden Leuten zu schwatzen, sondern um sich so recht in das zu vertiefen, wie es in alten Zeiten gewesen war. Deswegen
richtete sie es so ein, daß sie eines Abends spät dort eintraf, als die Arbeit beendet und das Gesinde schon ins Haus gegangen
war.
Sie hätte nie gedacht, daß es so wunderlich sein könne, nach Hause zu kommen. Während sie im Wagen saß und sich auf dem Wege
nach dem alten Hof befand, hatte sie ein Gefühl, als werde sie mit jeder Minute jünger und jünger, und bald war sie nicht
mehr eine alte Person, deren Haar zu ergrauen begann, sondern ein kleines Mädchen mit kurzen Röcken und einem langen flachsblonden
Zopf, der ihr auf dem Rücken hinabfiel. Wie sie so dahinfuhr und jedes Gehöft, an dem sie vorüberfuhr, wieder erkannte, war
es ihr, als müsse alles daheim wieder ganz so werden wie in alten Zeiten. Der Vater und die Mutter und die Geschwister würden
auf der Treppe stehen und sie empfangen, und die alte Haushälterin würde ans Fenster laufen, um zu sehen, wer da gefahren
kam, und Nero und Freya und noch ein paar andere Hunde würden herbeistürzen und an ihr emporspringen.
Je mehr sie sich dem Hofe näherte, um so fröhlicher wurde sie. Es war Herbst und eine geschäftige Zeit mit einer Menge Arbeit
stand bevor, aber gerade diese verschiedenen Arbeiten bewirkten, daß es daheim nie langweilig oder einförmig wurde. Auf dem
Wege dahin hatte sie gesehen, daß die Leute dabei waren, Kartoffeln aufzunehmen, und das würden sie jetzt daheim wohl auch
tun.Dann mußten zuerst Kartoffeln gerieben und Kartoffelmehl gemacht werden. Es war ein milder Herbst gewesen. Sie hätte gern
gewußt, ob die Ernte aus dem Garten schon eingebracht war. Der Kohl stand jedenfalls noch draußen. Ob wohl der Hopfen schon
gepflückt war, und ob man schon alle Äpfel abgenommen hatte?
Wenn sie nur nicht gerade beim großen Hausputz waren! Denn der Herbstmarkt stand vor der Tür. Zum Jahrmarkt mußte das ganze
Haus blitzblank sein, der wurde als großes Fest angesehen, namentlich von dem Gesinde. Es war auch wirklich ein Vergnügen,
am Abend vor dem Markt in die Küche hinauszukommen und den frisch gescheuerten, mit Wacholderzweigen bestreuten Fußboden zu
sehen und die frisch getünchten Wände und das blanke Kupfergerät oben unter der Decke.
Aber wenn der Jahrmarkt vorüber war, kehrte noch keine Ruhe ein. Dann mußte ja der Flachs gebrochen werden. Der Flachs hatte
während der Hundstage zum Trocknen auf einer Wiese ausgebreitet gelegen. Jetzt wurde er in die alte Backstube geschafft, und
der große Backstubenofen wurde geheizt, damit der Flachs dörren sollte. Und wenn er dürre genug war, wurde eines Tages zu
allen Nachbarfrauen geschickt. Sie setzten sich vor die Backstube und machten sich daran, den Flachs zu brechen. Sie schlugen
mit Hecheln darauf los, um die feinen, weißen Fasern aus dem dürren Stroh herauszulösen. Die Frauen wurden bei der Arbeit
ganz grau von Staub. Ihr Haar und ihre Kleider saßen voll von Spreu, aber sie waren trotzdem vergnügt. Den ganzen Tag lärmten
die Hecheln und die Münder standen keinen Augenblickstill. Wenn man in die Nähe der alten Backstube kam, klang es, als hause ein gewaltiger Sturm dadrinnen.
Nach dem Flachshecheln kamen die große Hartbrotbackerei, die Schafschur und der Umzugtag des Gesindes an die Reihe. Im November
standen dann arbeitsreiche Schlachttage bevor, wo Fleisch eingesalzen wurde, wo man Blutwurst stopfte, Blutbrot buk und Lichte
goß. Die Nähterin, die die eigengewebten, wollenen Kleider nähte, pflegte auch um diese Zeit zu kommen, und es waren ein paar
fröhliche Wochen, wenn alle Dienstmädchen im Hause zusammen saßen und nähten. Der Schuster, der die Schuhe für den ganzen
Hausstand anfertigte, saß zur selben Zeit drüben in der Knechtstube und arbeitete, und man war's nie müde, ihm zuzusehen,
wie er das Leder zuschnitt und versohlte und Flicken aufsetzte und Ringe in die Schnürlöcher einschlug.
Aber die größte Geschäftigkeit kam doch um Weihnachten. Der Luzientag, an dem das Stubenmädchen in weißem Kleide mit brennenden
Lichtern
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