Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil
Flügelschön! Siehst du nicht, wen sie mit sich führen?«
Im selben Augenblick gewahrte auch Flügelschön Daunenfein und war so erstaunt, daß sie lange mit offenem Schnabel dastand
und unaufhörlich zischte. »Das kann sie doch unmöglich sein! Wie sollte sie in Verbindung mit solchen Leuten kommen? Wir haben
sie doch dem Hungertode auf Öland überlassen!«
»Das schlimmste ist, daß sie uns sicher bei Vater und Mutter verklatschen und erzählen wird, daß wir sie so gestoßen haben,
bis ihr Flügel aus dem Gelenk aussetzte,« sagte Goldauge. »Du sollst sehen, die Sache endet damit, daß wir von der Schäre
Vertrieben werden.«
»Ja, es kommt nichts weiter als Verdruß dabei heraus, daß diese verhätschelte Göre heimkehrt,« sagte Flügelschön. »Ich glaube,
es wird das klügste sein, wenn wir so tun, als seien wir ungeheuer erfreut, daß sie zurückgekommen ist. Sie ist so dumm, am
Ende hat sie gar nicht einmal gemerkt, daß wir sie absichtlich gestoßen haben.«Während Flügelschön und Goldauge so sprachen, standen die Wildgänse unten am Strande und ordneten ihre Federn nach der Reise,
Dann wanderten sie in einer langen Reihe die Felsklippen hinauf, bis an die Schlucht, wo, wie Daunenfein wußte, ihre Eltern
zu wohnen pflegten.
Daunenfeins Eltern waren vorzügliche Leute. Sie hatten länger auf der Insel gewohnt als alle die anderen, und sie pflegten
allen neuen Bewohnern mit Rat und Hilfe beizustehen. Auch sie hatten die wilden Gänse kommen sehen, doch hatten sie Daunenfein
nicht in der Schar erkannt. »Es ist doch sonderbar, wilde Gänse hier auf unserer Schäre an Land gehen zu sehen,« sagte der
graue Gänserich. »Es ist eine prächtige Schar. Das kann man gleich am Fluge sehen. Aber es wird nicht leicht sein, einen Brutplatz
für so viele zu finden.« – »Bis jetzt ist es hier doch noch nicht so überfüllt, daß wir nicht alle, die kommen, aufnehmen
könnten,« sagte seine Frau. Sie war sanft und milde von Gemüt, so wie Daunenfein.
Als Akka dahergegangen kam, gingen Daunenfeins Eltern ihr entgegen und wollten sie gerade auf der Insel willkommen heißen,
als Daunenfein von ihrem Platz ganz hinten im Zuge aufflog und sich mitten zwischen den Eltern niederließ. »Vater! Mutter!
Ich bin es ja! Kennt ihr denn Daunenfein nicht mehr?« rief sie. Anfänglich wollten die Alten ihren eigenen Augen kaum trauen,
dann aber erkannten sie die Tochter und waren natürlich unendlich erfreut.
Während die Wildgänse und der Gänserich Martin und Daunenfein durcheinander schnatterten, um zuerzählen, wie Daunenfein gerettet wurde, kamen Flügelschön und Goldauge gelaufen. Schon von weitem riefen sie willkommen
und stellten sich so erfreut, Daunenfein wiederzusehen, daß diese ganz gerührt wurde.
Die wilden Gänse fühlten sich wohl auf der Insel, und es wurde beschlossen, daß sie erst am nächsten Morgen weiterreisen sollten.
Bald nach ihrer Ankunft fragten die Schwestern Daunenfein, ob sie nicht Lust habe, mitzukommen und zu sehen, wo sie ihre Nester
bauen wollten. Sie ging sogleich mit und sah, daß sie gute, geschützte Brutplätze gewählt hatten. »Wo willst du dich denn
jetzt niederlassen, Daunenfein?« fragten sie, – »Ich?« erwiderte Daunenfein, »Ich habe gar nicht die Absicht, mich hier auf
der Schäre niederzulassen. Ich fliege mit den Wildgänsen nach Lappland.« – »Das ist doch traurig, daß du uns verlassen willst,«
sagten die Schwestern, – »Ich würde gern bei euch und den Eltern bleiben,« entgegnete Daunenfein. »Aber ich versprach dem
großen, weißen ...« – »Was?« rief Flügelschön. »Sollst du den schönen Gänserich haben? Das ist doch ...« Aber Goldauge gab
ihr eifrige Winke, und sie sagte nichts mehr.
Den ganzen Vormittag steckten die bösen Schwestern die Köpfe zusammen. Sie waren ganz außer sich darüber, daß Daunenfein einen
so feinen Freier hatte. Sie hatten selbst Freier, aber das waren nur ganz gewöhnliche graue Gänse, und jetzt, wo sie den Gänserich
Martin gesehen hatten, fanden sie ihre Freier so häßlich und gewöhnlich, daß sie nichts mehr von ihnen wissen wollten. »Ich
glaube, ich ärgere mich noch tot,« sagte Goldauge. »Wärest du es wenigstens noch gewesen, die ihn haben soll, SchwesterFlügelschön!« – »Ich wollte, er wäre tot, dann brauchten wir doch nicht den ganzen Sommer daran zu denken, daß Daunenfein
einen weißen Gänserich bekommen hat,« sagte Flügelschön.
Die
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