Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil
fallen.
XXXVI. Stockholm
Sonnabend, 7. Mai.
Vor einigen Jahren wohnte auf »der Schanze«, in dem großen Park bei Stockholm, wo man so viele merkwürdige Dinge gesammelt
hat, ein altes Männchen namens Klement Larsson. Er stammte aus Helsingland und war nach der Schanze gekommen, um Volkstänze
und andere alte Melodien auf seiner Violine zu spielen. Als Spielmanntrat er hauptsächlich des Nachmittags auf, am Vormittag hatte er in der Regel die Aufsicht in einem der kleinen Bauerhäuser,
die aus allen Teilen des Landes nach der Schanze geschafft sind.
Zu Anfang fand Klement, daß er in seinen alten Tagen besser gestellt sei, als er es sich jemals hatte träumen lassen, aber
nach einiger Zeit fing er an, sich entsetzlich zu langweilen, namentlich wenn er die Aufsicht führen sollte. Es ging allenfalls
an, wenn Leute kamen, um das Haus anzusehen, aber es konnte geschehen, daß Klement viele Stunden ganz allein dasaß. Dann befiel
ihn ein solches Heimweh, daß er fürchtete, er werde sich gezwungen sehen, seine Stellung aufzugeben. Er war aber sehr arm
und wußte, daß er daheim ins Armenhaus kommen würde. Daher suchte er so lange wie möglich auszuhalten, obwohl er mit jedem
Tage, der verging, unglücklicher wurde.
Eines schönen Nachmittags in den ersten Maientagen hatte Klement einige Stunden frei und war auf dem Wege, der über einen
steilen Hügel von der Schanze abwärts führt, als er einem Schärenfischer begegnete, der einen Kasten auf dem Rücken trug.
Es war ein junger, rüstiger Mann, der nach der Schanze zu kommen pflegte, um Seevögel feilzubieten, die er lebendig gefangen
hatte, und Klement hatte schon oft mit ihm geplaudert.
Der Fischer hielt Klement an, um zu fragen, ob der Vorsteher auf der Schanze zu Hause sei, und als Klement hierauf geantwortet
hatte, fragte er seinerseits, was denn der Fischer in seinem Kasten habe. »Du darfst sehen, was ich habe,« sagte der Fischer,
»wenn du mir dafür einenguten Rat geben und mir sagen willst, was ich für meinen Fang fordern kann.«
Er reichte Klement den Kasten. Der guckte erst einmal hinein und dann noch einmal und zog sich darauf schleunigst ein paar
Schritte zurück. »Was in aller Welt ist denn das, Asbjörn?« fragte er. »Wo hast du den gekapert?«
Er mußte daran denken, daß ihm seine Mutter, als er noch klein war, von den »Männlein« erzählt hatte, die unter dem Estrich
der Scheune wohnten. Er durfte nicht weinen und nicht unartig sein, denn dann wurden die Männlein böse. Als er erwachsen war,
glaubte er, die Mutter habe dies mit den Männlein ersonnen, um ihn in Schock zu halten. Das war also nicht der Fall gewesen,
denn dort in Asbjörns Kasten lag so ein Männlein.
Es war etwas von der Angst des Kindes bei Klement zurückgeblieben, und es lief ihm kalt den Rücken hinab, sobald er in den
Kasten sah. Asbjörn merkte, daß er bange war und fing an zu lachen, Klement aber nahm die Sache sehr ernst. »Erzähle mir doch,
wo du ihn gefunden hast, Asbjörn,« sagte er. – »Ich habe ihm nicht aufgelauert,« sagte Asbjörn, »er ist zu mir gekommen. Ich
fuhr heute morgen in aller Frühe hinaus und nahm meine Flinte mit ins Boot. Kaum war ich auf offener See, als ich einige Wildgänse
erblickte, die mit lautem Geschrei von Osten kamen. Ich sandte ihnen einen Schuß nach, traf aber keine. Statt dessen stürzte
dieser kleine Kerl herab und fiel so dicht bei dem Boot ins Wasser, daß ich nur die Hand auszustrecken brauchte, um ihn zu
fangen.« – »Du hast ihn doch nicht verletzt, Asbjörn?« – »Nichtdie Spur, er ist munter und gesund. Aber gleich nachdem er angeflogen kam, war er nicht bei Besinnung, und das benutzte ich,
um ihm Hände und Füße mit einem Stück Bindfaden zusammenzubinden, damit er mir nicht entfliehen sollte. Denn ich dachte mir
ja gleich, daß es etwas für die Schanze sein würde.«
Während der Fischer erzählte, wurde Klement merkwürdig unruhig. Alles, was er in seiner Kindheit von den Männlein gehört hatte,
von ihrer Rachsucht gegen Feinde und ihrer Güte gegen Freunde, fiel ihm wieder ein. Wer einen von ihnen gefangen hatte, dem
war es nie im Leben gut ergangen. »Du hättest ihm sofort seine Freiheit schenken sollen, Asbjörn,« sagte er.
»Fast hätte ich ihn wirklich wieder laufen lassen müssen,« sagte der Fischer. »Denn, denk' nur, Klement, die Wildgänse verfolgten
mich bis nach Hause, und den ganzen Morgen flogen sie über der Schäre hin und
Weitere Kostenlose Bücher