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Niemalsland

Titel: Niemalsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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entlangzukriechen, und dann, an deren Ende, schob sie ihm einfach die Hände unter die Arme, hob ihn hoch und stellte ihn auf festen Boden.
    »Danke«, sagte er. Ihm fiel nichts anderes ein, was dem, was sie gerade für ihn getan hatte, angemessen gewesen wäre. Er sagte es noch einmal. »Danke.« Und dann sagte er zu allen: »Es tut mir leid.«
    Door schaute zu ihm auf. »Schon gut«, sagte sie. »Du bist jetzt in Sicherheit.«
    Richard sah die spiralförmige Straße unter der Welt an, die sich tiefer und tiefer wand; und er sah Hunter und Door und Lamia an; und er lachte, bis ihm die Tränen kamen.
    »Was«, fragte Door schließlich, »ist denn so lustig?«
    »›In Sicherheit!‹« sagte er.
    Door starrte ihn an, und dann lächelte auch sie.
    »Und wo gehen wir jetzt hin?« fragte Richard.
    »Hinunter«, sagte Lamia.
    Sie begannen, die Down Street hinabzugehen. Hunter marschierte voran, mit Door an ihrer Seite. Richard ging neben Lamia her, atmete ihren Duft nach Maiglöckchen und Geißblatt ein und genoß ihre Gesellschaft.
    »Ich bin wirklich froh, daß Sie mit uns gekommen sind«, erklärte er. »Als Fremdenführerin. Ich hoffe, daß Ihnen das kein Unglück bringt oder so.«
    Sie fixierte ihn mit ihren fingerhutfarbenen Augen. »Warum sollte es mir Unglück bringen?«
    »Wissen Sie, wer die Rattensprecher sind?«
    »Natürlich.«
    »Es gab ein Rattensprechermädchen namens Anaesthesia. Sie. Nun ja, wir haben uns ein bißchen angefreundet, und sie sollte mich zum Markt führen. Und dann ist sie mir abhanden gekommen. Auf der Night’s Bridge. Ich frage mich immer noch, was ihr zugestoßen sein mag.«
    Sie lächelte ihn mitfühlend an. »Mein Volk kennt Geschichten darüber. Ein paar davon sind vielleicht sogar wahr.«
    »Sie müssen mir davon erzählen«, sagte er. Es war kalt. Sein Atem dampfte in der kühlen Luft.
    »Eines Tages«, sagte sie. Ihr Atem dampfte nicht. »Es ist sehr nett von Ihnen, daß Sie mich mitnehmen.«
    Door und Hunter bogen vor ihnen um die Kurve und waren nicht mehr zu sehen.
    »Wissen Sie«, sagte Richard, »die anderen sind schon ein bißchen weit voraus. Wir sollten uns lieber beeilen.«
    »Laß sie gehen«, sagte sie sanft. »Wir werden sie schon wieder einholen.«
    Es war, dachte Richard, auf merkwürdige Art und Weise so, als sei er ein Teenager und ginge mit einem Mädchen ins Kino. Oder vielmehr wie der Heimweg danach: Stehenbleiben an Bushaltestellen oder neben Mauern, um einen Kuß zu erhaschen, ein hastiges Betasten von Haut und ein Verknäueln von Zungen, und dann schnell weiter, um die Kumpel und ihre Freundinnen einzuholen …
    Lamia fuhr mit einem kalten Finger über seine Wange.
    »Du bist so warm«, sagte sie bewundernd. »Es muß wunderbar sein, soviel Wärme zu haben.«
    Richard versuchte, ein bescheidenes Gesicht zu machen. »Darüber denke ich eigentlich nicht besonders viel nach«, gab er zu.
    Ganz weit oben hörte er das metallische Knallen der Aufzugtür.
    Lamia schaute flehend und freundlich zu ihm auf. »Würdest du mir etwas von deiner Hitze abgeben, Richard?« fragte sie. »Mir ist so kalt.«
    Richard fragte sich, ob er sie küssen sollte. »Was? Ich …«
    Sie sah enttäuscht aus. »Gefalle ich dir nicht?« fragte sie. Er hoffte inständig, daß er ihre Gefühle nicht irgendwie verletzt hatte.
    »Natürlich gefällst du mir«, hörte er seine Stimme sagen. »Du bist sehr nett.«
    »Und du brauchst doch all deine Hitze gar nicht, oder?« Das klang logisch.
    »Ich schätze, nein …«
    »Und du hast gesagt, du würdest mich dafür bezahlen, daß ich euch führe. Und das möchte ich als Lohn. Wärme. Kann ich welche haben?«
    Alles, was sie wollte. Alles. Das Geißblatt und die Maiglöckchen umschlossen ihn, und seine Augen sahen nichts als ihre bleiche Haut und ihre dunklen, blumigen Pflaumenlippen und ihr pechschwarzes Haar. Er nickte.
    Irgendwo in seinem Innern schrie etwas, doch was immer das war, es konnte warten.
    Sie streckte ihre Hände nach seinem Gesicht aus und zog es sanft zu sich herab. Dann küßte sie ihn, lange und schwerblütig. Im ersten Moment war die Kälte ihrer Lippen und ihrer Zunge ein Schock für ihn, und dann entspannte er sich. Nach einer Weile zog sie sich zurück.
    Er spürte das Eis auf seinen Lippen. Er strauchelte rückwärts gegen die Wand. Er versuchte zu blinzeln, aber seine Augen fühlten sich an, als seien sie offen festgefroren.
    Sie sah zu ihm auf und lächelte voll Wonne. Ihre Haut war rosig, und ihre Lippen waren

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