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Niemalsland

Titel: Niemalsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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Taschentuch?« fragte Richard. Es war kein ausgesprochen sauberes Taschentuch; seine Tante Maude hatte es ihm zu seinem letzten Geburtstag geschenkt.
    Old Bailey riß es ihm aus der Hand und schwenkte es glücklich über seinem Kopf.
    »Sei ohne Furcht, mein Junge!« jubilierte er. »Deine Suche ist zu Ende! Geh dort entlang, durch jene Tür. Du kannst sie nicht verfehlen. Sie schauen sich gerade Bewerber an.«
    Eine Krähe krächzte gehässig.
    »Halt den Schnabel«, sagte Old Bailey zu der Krähe. Und zu Richard sagte er: »Dank sei dir für die kleine Flagge.«
    Er hüpfte erfreut um seinen Stand herum und schwenkte Richards Taschentuch hin und her.
    Bewerber? dachte Richard. Und dann lächelte er. Es spielte keine Rolle. Seine Suche war, wie der verrückte alte Dachmann gesagt hatte, zu Ende.
    Er machte sich auf den Weg zur Lebensmittelabteilung.
    Trends waren für einen Leibwächter die Hauptsache. Sie alle beherrschten irgendeinen Trick, und jeder war sehr darauf erpicht, diesen öffentlich vorzuführen.
    In diesem Moment standen sich Ruislip und der Lackaffe ohne Namen gegenüber.
    Der Lackaffe ohne Namen sah ein wenig aus wie ein Lebemann des frühen achtzehnten Jahrhunderts, der nicht das Richtige zum Anziehen gefunden hatte und sich deshalb mit dem behelfen mußte, was die Second-hand-Läden hergaben. Sein Gesicht war weiß gepudert, seine Lippen aufgemalt.
    Ruislip, der Gegner des Lackaffen, sah aus wie etwas, wovon man vielleicht träumt, wenn man vor einem Sumo-Ringkampf im Fernsehen einschläft, während im Hintergrund eine Bob-Marley-Platte läuft: ein riesiger Rastafari, der Ähnlichkeit mit einem übergewichtigen Riesenbaby hatte. Sie standen einander in der Mitte eines Kreises gegenüber, umringt von Zuschauern, anderen Leibwächtern und Schaulustigen.
    Keiner der beiden Männer bewegte einen Muskel.
    Der Lackaffe war einen guten Kopf größer als Ruislip. Ruislip hingegen wog soviel wie vier Lackaffen zusammen, jeder mit einem großen Lederkoffer voller Speck in der Hand.
    Stocksteif starrten sie einander an.
    Der Marquis de Carabas tippte Door auf die Schulter und zeigte auf die beiden. Gleich würde etwas geschehen.
    Zwei Männer, und sie schauten einander nur an …
    Da schoß der Kopf des Lackaffen ruckartig nach hinten, als habe er gerade einen Schlag ins Gesicht erhalten. Eine kleine, rötlichblaue Schramme erschien auf seiner Wange. Er schürzte die Lippen, und seine Lider flatterten.
    »Oho!« sagte er, dann verzog er seine geschminkten Lippen zu der geisterhaften Parodie eines breiten Lächelns. Er machte eine Handbewegung.
    Ruislip wankte und griff sich an den Magen.
    Der Lackaffe ohne Namen grinste abscheulich affektiert, drohte mit dem Finger und hauchte mehreren Zuschauern Küßchen zu.
    Ruislip starrte den Lackaffen wütend an und verdoppelte seine gedankliche Schlagkraft.
    Blut begann von den Lippen des Lackaffen zu tropfen. Sein linkes Auge schwoll langsam an. Er wankte. Das Publikum murmelte anerkennend.
    »Das ist nicht so eindrucksvoll, wie es aussieht«, flüsterte der Marquis Door zu.
    Der Lackaffe ohne Namen stolperte plötzlich. Er sank auf die Knie, als ob ihn jemand niederzwang, und fiel zu Boden. Dann durchfuhr ihn ein Ruck, als hätte ihn gerade jemand kräftig in den Magen getreten.
    Ruislip schaute sich triumphierend um. Die Zuschauer klatschten höflich. Der Lackaffe krümmte sich und spuckte Blut in das Sägemehl auf dem Boden von Harrods’ Fisch- und Fleischabteilung.
    »Der Nächste«, sagte der Marquis.
    Der Lackaffe wurde von Freunden in eine Ecke gezerrt und übergab sich heftig.
    Der nächste Kandidat war wiederum dünner als Ruislip (er hatte etwa das Gewicht von zweieinhalb Lackaffen, die zusammen nur einen einzigen Koffer voll Speck trugen). Er war über und über mit Tätowierungen bedeckt, und seine Kleidung sah aus, als hätte man sie aus alten Autositzen und Gummimatten zusammengeflickt. Sein Schädel war rasiert, und seine verächtlich hochgezogene Oberlippe entblößte verfaulte Zähne.
    »Ich bin Varney«, sagte er, räusperte sich und spuckte grün ins Sägemehl. Er trat in den Ring.
    »Es kann losgehen, meine Herren«, sagte der Marquis.
    Ruislip stampfte mit seinen nackten Füßen auf den Boden, eins-zwei, eins-zwei, und fing an, Varney durchdringend anzustarren. Eine kleine Wunde öffnete sich auf Varneys Stirn, und Blut begann ihm daraus ins Auge zu tropfen. Varney achtete nicht darauf und schien sich statt dessen auf seinen rechten Arm zu

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