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Niemalsland

Titel: Niemalsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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hatte, in dem ein Mungo eine Königskobra tötete. Genauso bewegte sie sich. Genauso hatte sie gekämpft.
    Die Frau blickte auf Varney hinab. »Danke, Mister Varney«, sagte sie höflich. »Ich fürchte, wir werden Ihre Dienste doch nicht benötigen.«
    Sie stieg von ihm herunter und steckte sein Messer in ihren Gürtel.
    »Wie heißen Sie eigentlich?« fragte der Marquis.
    »Ich heiße Hunter«, erwiderte sie.
    Niemand sagte etwas. Dann fragte Door zögernd: »Die Hunter?«
    »Richtig«, sagte Hunter, und sie wischte den Bodenstaub von ihren Lederleggings. »Ich bin wieder da.«
    Von irgendwoher ertönte eine Glocke, zweimal, ein tiefes, dröhnendes Geräusch, das Richards Zähne vibrieren ließ. »Fünf Minuten«, murmelte der Marquis. Dann sagte er zu den Umstehenden: »Ich glaube, wir haben unseren Leibwächter gefunden. Ich danke Ihnen allen. Mehr gibt es hier nicht zu sehen.«
    Hunter ging hinüber zu Door und musterte sie von oben bis unten.
    »Können Sie verhindern, daß ich umgebracht werde?« fragte Door.
    Hunter deutete mit dem Kopf auf Richard. »Sein Leben habe ich heute schon dreimal gerettet, auf dem Weg über die Brücke und zum Markt.« Varney, der sich mühsam wieder aufgerappelt hatte, hob das Brecheisen mit seinen Gedanken hoch. Der Marquis sah zu, und er sagte nichts.
    Der Geist eines Lächelns umspielte Doors Lippen. »Wie lustig«, sagte sie. »Richard dachte, Sie wären eine – «
    Hunter erfuhr nicht mehr, war Richard von ihr dachte. Das Eisen sauste auf ihren Kopf zu. Sie streckte einfach den Arm aus und fing es auf: Mit einem befriedigend dumpfen Geräusch landete es in ihrer Hand.
    Sie ging zu Varney hinüber.
    »Gehört das Ihnen?« fragte sie.
    Er bleckte die Zähne, gelb und schwarz und braun.
    »Im Moment«, sagte Hunter, »gilt der Marktfrieden. Aber wenn Sie so etwas noch einmal versuchen, ist mir der Waffenstillstand gleichgültig, und ich breche Ihnen beide Arme ab und zwinge Sie, sie zwischen den Zähnen nach Hause zu tragen. Und jetzt«, fuhr sie fort und verdrehte ihm dabei das Handgelenk hinterm Rücken, »sagen Sie schön Entschuldigung.«
    »Au«, sagte Varney.
    »Ja?« fragte sie aufmunternd.
    Er spuckte es aus, als würde er sonst daran ersticken. »Entschuldigung.«
    Sie ließ ihn los.
    Varney machte sich aus dem Staub. Angsterfüllt und wütend, das Gesicht die ganze Zeit Hunter zugewandt, wich er zurück. Und als er die Tür zur Lebensmittelabteilung erreicht hatte, hielt er inne und brüllte: »Du bist tot! Verdammte Scheiße, du bist tot!«, und seine Stimme war den Tränen nahe.
    Dann drehte er sich um, und er rannte hinaus. »Blutiger Laie«, seufzte Hunter.
    Sie gingen den gleichen Weg zurück, den Richard gekommen war.
    Die Glocke schlug jetzt tief und pausenlos. Sie stand neben dem Harrods-Gourmet-Weingummistand und wurde von einem großen schwarzen Mann geläutet, der die schwarze Tracht eines Dominikanermönchs trug.
    So eindrucksvoll der Markt auch anzuschauen gewesen war – es war doch in vielerlei Hinsicht noch eindrucksvoller zuzusehen, mit welchem Tempo er zerlegt, abgebaut und weggeräumt wurde. Jedes Anzeichen dafür, daß er je stattgefunden hatte, verschwand: Stände wurden auseinandermontiert, auf Rücken geladen, weggeschleppt.
    Richard sah, wie Old Bailey, die Arme voll mit seinen grellen Schildern und seinen Vogelkäfigen, aus dem Kaufhaus stolperte.
    Die Menge verlief sich. Der Markt verschwand. Das Erdgeschoß sah aus wie immer, so langweilig, so sauber und ordentlich, wie er es von seinen Harrods-Besuchen mit Jessica kannte.
    »Hunter«, sagte der Marquis. »Ich habe natürlich schon von Ihnen gehört. Wo waren Sie die ganze Zeit?«
    »Auf der Jagd«, sagte sie einfach. Dann, zu Door: »Können Sie Befehle befolgen?«
    Door nickte. »Wenn es sein muß.«
    »Gut. Dann kann ich Sie vielleicht wirklich am Leben erhalten«, sagte Hunter. »Wenn ich die Stelle annehme.«
    Der Marquis blieb stehen. Argwöhnisch musterte er sie mit flackernden Augen. »Sie sagten, wenn Sie die Stelle annehmen …?«
    Hunter öffnete die Tür, und sie traten auf das nächtliche Londoner Pflaster hinaus. Es hatte geregnet, während sie auf dem Markt waren, und jetzt schimmerten die Straßenlaternen im nassen Asphalt.
    »Das habe ich bereits getan«, sagte Hunter.
    Richard hatte immer mehr das Gefühl, das fünfte Rad am Wagen zu sein. Door wich seinem Blick aus, der Marquis beachtete ihn nicht, und für Hunter war er offenbar nicht vorhanden.
    »Hören Sie«, sagte er,

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