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Niemalsland

Titel: Niemalsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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sagte er. »Ich dachte nur.«
    Sie gingen in einen anderen Raum. Richard fragte sich, ob er anfing, zu halluzinieren, entweder aufgrund einer Überdosis Zucker im Earl’s Court oder als Folge systematischer Desensibilisierung. »Ich höre Musik«, sagte er. Es klang wie ein Streichquartett.
    »Die Party«, erwiderte Door.
    Richtig. Die Leute im Smoking, mit denen sie in der Schlange gestanden hatten. Nein, hier schien der Angelus auch nicht zu sein. Door ging in den nächsten Saal, und Richard trottete hinterher. Er wünschte, er könnte sich irgendwie nützlich machen.
    »Dieser Angelus«, sagte er. »Wie sieht der eigentlich aus?« Einen Moment lang glaubte er, sie würde ihn ausschimpfen, weil er gefragt hatte. Doch sie blieb stehen und rieb sich die Stirn. »Hier steht nur, daß darauf ein Engel abgebildet ist. Aber so schwer kann er ja nicht zu finden sein. Schließlich – «, fügte sie hoffnungsvoll hinzu, »wie viele Sachen mit Engeln drauf gibt’s denn hier schon?«

Kapitel Neun
     
    Jessica stand ein wenig unter Druck. Sie war besorgt und unruhig und furchtbar nervös. Sie hatte die Sammlung katalogisiert, das British Museum als Ausstellungsort gewonnen, die Restaurierung des Hauptausstellungsstücks organisiert, beim Hängen der Sammlung assistiert und die Gästeliste für die Grandiose Vernissage zusammengestellt.
    Daß sie keinen Freund hatte, war ganz in Ordnung, sagte sie ihren Freundinnen immer. Selbst wenn sie einen hätte, würde sie ja doch keine Zeit für ihn haben. Trotzdem, eigentlich wäre es doch ganz schön, dachte sie, wenn sie mal einen Moment Zeit hatte: jemand, mit dem man am Wochenende in Galerien gehen konnte. Jemand, mit dem man …
    Nein. Von diesem Winkel ihres Verstands hielt sie sich fern. Diese Gedankenfetzen konnte sie ebensowenig auf den Punkt bringen, wie sie ihren Finger auf eine Quecksilberperle legen konnte, und sie konzentrierte sich wieder auf die Ausstellung.
    Selbst jetzt noch, in letzter Minute, gab es so viele Dinge, die schiefgehen konnten. So manches Pferd ist noch an der letzten Hürde gestürzt. So mancher allzu optimistische General mußte schon mit ansehen, wie sich ein sicher geglaubter Sieg in der letzten Minute einer Schlacht in eine Niederlage verwandelte.
    Jessica wollte nur sichergehen, daß es keine Pannen gab.
    Sie trug ein grünes Seidenkleid – eine schulterfreie Generalin, die ihre Truppen aufmarschieren ließ und unerschütterlich so tat, als hätte Mr. Stockton nicht bereits vor einer halben Stunde eintreffen müssen.
    Ihre Truppen bestanden aus einem Oberkellner, einem Dutzend Kellner und Kellnerinnen, drei Frauen vom Catering-Service, einem Streichquartett und ihrem Assistenten, einem jungen Mann namens Clarence. Jessica war überzeugt, daß Clarence den Job nur bekommen hatte, weil er a) offen schwul und b) ebenso offen schwarz war; und daher war es für sie ein stetes Ärgernis, daß er bei weitem der effizienteste, kompetenteste und beste Assistent war, den sie bis jetzt gehabt hatte.
    Sie inspizierte den Getränketisch. »Wir haben doch genug Champagner? Ja?«
    Der Oberkellner deutete auf eine Kiste Champagner unter dem Tisch.
    »Und Selter?«
    Noch ein Nicken. Noch eine Kiste.
    Jessica schürzte die Lippen. »Und wie ist es mit stillem Mineralwasser? Sprudel ist nicht jedermanns Sache, müssen Sie wissen.«
    Sie hatten jede Menge stilles Mineralwasser. Gut.
    Das Streichquartett spielte sich warm. Es war nicht laut genug, um den Lärm, der von draußen aus dem Korridor kam, zu übertönen. Es war der Lärm einer kleinen, aber gutbetuchten Menschenmenge: Das Raunen von Damen in Nerzmänteln und Männern, die, gäbe es die RAUCHEN VERBOTEN-Schilder an den Wänden nicht – und auch nicht den Rat ihres Arztes –, Zigarren rauchen würden; das Raunen von Journalisten und Berühmtheiten, die schon die Canapés, Vol-au-vents, Knabbereien und den kostenlosen Champagner riechen konnten.
    Clarence sprach in sein Handy, ein schlankes, ausklappbares Stück Technik, neben dem die Raumschiff-Enterprise -Funkgeräte klotzig und altmodisch gewirkt hätten. Er schaltete es ab, schob die Antenne hinein und steckte es in die Armani-Tasche seines Armani-Anzugs, ohne daß dieser auch nur das kleinste Fältchen warf. Er lächelte aufmunternd. »Jessica, Mr. Stocktons Fahrer hat aus dem Wagen angerufen. Sie kommen ein paar Minuten später. Kein Grund zur Sorge.«
    »Kein Grund zur Sorge«, echote Jessica. Das konnte ja nicht gutgehen. Die ganze Sache würde

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