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Niemalsland

Titel: Niemalsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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von Westen nach Osten angelegt, und irgendwo hinter Greenwich wurden die Abwässer in die Mündung der Themse gepumpt und ins Meer gespült.
    Diesen Weg nahm jetzt der Körper des toten Marquis de Carabas, von Westen nach Osten, auf den Sonnenaufgang und die Kläranlage zu.
    Von einem hohen Backsteinsims aus sahen Ratten, die gerade mit Dingen beschäftigt waren, die Ratten tun, wenn kein Mensch sie beobachtet, den Körper vorübertreiben.
    Die größte von ihnen, ein großes schwarzes Männchen, quiekte.
    Ein kleineres braunes Weibchen quiekte zurück, dann sprang sie von dem Sims auf den Rücken des Marquis und ritt ein Stückchen auf ihm, schnüffelte an seinen Haaren und dem Mantel, kostete das Blut und beugte sich dann gefährlich weit vor, um zu inspizieren, was von dem Gesicht zu sehen war.
    Sie hüpfte von dem Kopf ins schmutzige Wasser und schwamm emsig ans Ufer, wo sie die glitschigen Backsteine hinaufkletterte.
    Dann eilte sie auf einem Balken zurück und gesellte sich wieder zu ihren Begleitern.
    »Belfast?« fragte Richard.
    Door lächelte spitzbübisch und sagte nur: »Du wirst schon sehen«, als er versuchte, ihr mehr darüber zu entlocken.
    Er probierte es anders. »Woher weißt du, daß der Junge, was den Markt angeht, die Wahrheit gesagt hat?« fragte er.
    »Darüber erzählt man hier unten einfach keine Lügen. Ich … glaube, bei dem Thema können wir gar nicht lügen. « Sie zögerte. »Der Markt ist etwas Besonderes.«
    »Woher wußte der Junge, wo er stattfindet?«
    »Jemand hat es ihm gesagt«, sagte Hunter.
    Richard grübelte einen Augenblick darüber nach. »Woher wußte der es?«
    »Jemand hat es ihm gesagt«, erklärte Door.
    »Aber …« Er fragte sich, wer überhaupt die Veranstaltungsorte aussuchte, wie die Information verbreitet wurde …
    Eine volltönende Frauenstimme fragte aus der Dunkelheit: »Hss. Wißt ihr, wo der nächste Markt ist?«
    Sie trat ins Licht. Sie trug Silberschmuck, und ihr dunkles Haar war perfekt frisiert. Sie war sehr blaß, und ihr langes Kleid war aus pechschwarzem Samt.
    Richard wußte sofort, daß er sie schon einmal gesehen hatte, aber es dauerte einen Moment, bis ihm wieder einfiel, wo: auf dem ersten Wandermarkt, genau: bei Harrods. Sie hatte ihm zugelächelt.
    »Heute nacht«, sagte Hunter. »Belfast.«
    »Danke«, sagte die Frau. Ihre Augen waren wirklich unglaublich, dachte Richard. Sie hatten die Farbe von Fingerhut. »Bis dann«, sagte sie, und sie schaute Richard an, als sie das sagte. Dann wandte sie schüchtern den Blick ab.
    Sie trat in den Schatten, und weg war sie.
    »Wer war das?« fragte Richard.
    »Sie nennen sich Velvets«, sagte Door. »Am Tage schlafen sie hier unten, und nachts gehen sie auf der Oberseite spazieren.«
    »Sind sie gefährlich?« fragte Richard.
    »Jeder ist gefährlich«, erwiderte Hunter.
    »Hört mal«, sagte Richard. »Um nochmal auf den Markt zurückzukommen. Wer entscheidet, wo er abgehalten wird und wann? Und wie erfahren die ersten davon? «
    Hunter zuckte mit den Schultern.
    »Door?« fragte er.
    »Darüber habe ich nie nachgedacht.«
    Sie bogen um eine Ecke.
    Door hielt ihre Lampe hoch. »Gar nicht schlecht«, sagte sie. »Und dazu noch schnell«, sagte Hunter. Sie berührte das Gemälde an der Felswand mit der Fingerspitze. Die Farbe war noch feucht.
    Es war ein Gemälde von Hunter und Door und Richard. Es war nicht besonders schmeichelhaft.
    Die schwarze Ratte betrat ehrerbietig den Bau der Goldenen, den Kopf gesenkt und die Ohren angelegt.
    Fiepend und keckernd schob sie sich vorwärts.
    Die Goldenen hatten ihren Bau in einem Knochenhaufen errichtet. Dieser Knochenhaufen hatte einmal einem wolligen Mammut gehört, damals, in den kalten Zeiten, als diese großen, behaarten Tiere über die verschneite Tundra im Süden Englands spazierten, als ob, fanden die Goldenen, sie ihnen allein gehörte.
    Dieser spezielle Mammut jedenfalls war von den Goldenen ziemlich gründlich und endgültig eines Besseren belehrt worden.
    Die schwarze Ratte verbeugte sich am Fuße des Knochenhaufens. Dann legte sie sich mit dargebotener Kehle auf den Rücken, schloß die Augen und wartete.
    Nach einer Weile teilte ihr ein Quieken von oben mit, daß sie sich wieder umdrehen konnte.
    Einer der Goldenen krabbelte aus dem Mammutschädel oben auf dem Knochenhaufen. Er lief den uralten elfenbeinernen Stoßzahn entlang – eine Ratte mit goldenem Fell und kupferfarbenen Augen, so groß wie eine große Hauskatze.
    Die schwarze Ratte sprach.

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