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Niemand, Den Du Kennst

Titel: Niemand, Den Du Kennst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Richmond
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man braucht, und keinen Tropfen mehr.«
    »Wo liegt der Brunnen?«
    »Einen knappen Kilometer in diese Richtung.« Er zeigte in den Wald. »Es ist gutes Wasser. Möchten Sie es probieren?«
    »Gerne, das wäre nett.«
    McConnell öffnete die Tür und bedeutete mir, vor ihm einzutreten. Drinnen war es warm und dunkel. Wir standen in einem großen, einfachen Raum. Er zog die Vorhänge beiseite, um Licht einzulassen. An der linken Wand standen längs
ein Bett und daneben ein Nachttisch. Darauf ein Block sowie ein aufziehbarer Wecker und eine große, noch unangezündete Kerze. In Anbetracht der kärglichen Ausstattung verblüffte mich die Größe des Bettes; es war ein Doppelbett mit frischem grünem Laken und zwei dicken Kissen in strahlend weißen Bezügen. Einen Meter vom Fußende des Bettes entfernt stand ein großer Schreibtisch an die Wand gerückt. Darüber war ein von gelben Vorhängen eingerahmtes Fenster. Neben dem Schreibtisch bog sich ein Einbauregal unter der Last mehrerer Dutzend Bücher. Ich erkannte einige der Titel aus Lilas Sammlung: Principia Mathematica von Russell und Whitehead, Die Elemente von Euklid, Mathematical Thought from Ancient to Modern Times von Morris Kline, Disquisitiones Arithmeticae von Gauß. Und dort, auf einem Stapel gelb gebundener Nachdrucke von Ramanujans verlorenen Notizbüchern, lag das eine Buch, das ich sehr gut kannte - Hardys A Mathematician’s Apology . Ich hatte Lilas Exemplar nach ihrem Tod an mich genommen.
    Obwohl das Zimmer spartanisch wirkte, hatte die Farbzusammenstellung etwas unbestreitbar Fröhliches. Selbst der Betonfußboden war in einem hellen Blau gestrichen, und neben dem Bett lag ein gewebter Läufer in leuchtenden Rotund Gelbtönen. In der rechten hinteren Ecke standen ein runder Tisch und ein einzelner Holzstuhl. An der Wand dahinter befand sich die kleine improvisierte Küche: uralter Kühlschrank, Gaskocher und eine kupferne Waschschüssel auf einem Gestell.
    »Als ich hier einzog, gab es keinen Strom«, erzählte McConnell. »Mehrere Jahre lang habe ich ohne gelebt.«
    Ich entdeckte ein Handy auf dem Tisch. »Sie modernisieren.«
    »Nur unter Zwang. Die Firma, für die ich Aufträge erledige,
besteht darauf, mich immer erreichen zu können. Man stelle sich vor. E-Mail versuchen sie mir auch ständig anzudrehen, aber bisher bin ich standhaft geblieben.«
    Er holte die Eimer von der Veranda und wuchtete sie auf den Tisch. Dann nahm er zwei Gläser aus einem Schrank und schöpfte mit einer Kelle Wasser hinein. Es war kühl und gut, mit einem leicht metallischen Geschmack und einem zarten Duft nach Gras.
    »Bitte«, sagte McConnell. »Setzen Sie sich doch.«
    Ich ließ den Blick durch den Raum schweifen. Es gab nur den einen Stuhl am Tisch. »Sie müssen entschuldigen«, sagte er, »ich habe selten Gesellschaft.« Er trug den Stuhl quer durch den Raum und stellte ihn vor dem Bett ab. Ich setzte mich, die Korbsitzfläche ächzte unter mir. McConnell nahm auf dem Bett Platz, sodass wir einander gegenübersaßen. »Eigentlich sind Sie sogar seit vier Jahren der erste Mensch, der mich besucht.«
    »Wer war der letzte?«
    Er zögerte. »Eine Frau aus dem Dorf.«
    »Darf ich fragen, was passiert ist?«
    »Sie wollte Kinder. Ich sagte ihr, dafür sei ich zu alt.«
    »Sie sind doch erst fünfzig.«
    »Ich habe bereits einen Sohn.«
    »Und einer reicht?«
    »Es gab mal eine Zeit, als ich von drei oder vier Kindern träumte. Doch an der Vaterfront habe ich ziemlich versagt, finden Sie nicht? Manche Fehler sollte man nicht wiederholen.« Er lächelte traurig. »Theoretisch betrachtet ist die Eins eine wunderschöne Zahl. Sie ist ihre eigene Fakultät, ihr eigenes Quadrat, ihre eigene Kubikzahl. Sie ist weder eine Primzahl noch eine zusammengesetzte Zahl. Sie stellt die ersten beiden Ziffern der Fibunacci-Folge. Sie ist das leere Produkt:
Jede Zahl in der Potenz null ergibt eins. Man könnte behaupten, dass die Eins die unabhängigste der dem Menschen bekannten Zahlen ist. Sie kann Dinge, zu der keine andere Zahl in der Lage ist.«
    »Eine Folge natürlicher Zahlen endet immer mit eins«, sagte ich.
    »Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht.«
    »Das stand in Lilas Notizbuch. Das Collatz-Problem. Laut Erdös ist »die Mathematik noch nicht bereit für solche Probleme«.
    Er trank einen Schluck Wasser, wischte sich den Mund mit dem Handrücken. »Sie haben einen alten Freund von mir aufgesucht.«
    »Ja, Don Carroll. Er hat sich sehr lobend über Ihre Arbeit

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