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Niemand, Den Du Kennst

Titel: Niemand, Den Du Kennst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Richmond
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Sonnenbrille, aber ich rechnete damit, dass Sie mich eines Tages erkennen würden.«
    McConnell rutschte auf seinem Stuhl herum. Sein Gesicht im Kerzenlicht war bemerkenswert. Jetzt konnte ich sehen, was Lila in diesem Gesicht gesehen haben musste - die interessanten Konturen, die Tiefe der Augen, die riesigen Pupillen, die flache, ehrliche Breite des Mundes. »Das habe ich«, sagte er.
    »Wirklich?«
    »Sicher. Lila hatte mir Bilder gezeigt - einige von Ihnen beiden in Europa, ein anderes von Ihnen am Strand, Kinderbilder. Und dann waren da noch die Fotos in Thorpes Buch. Aber selbst ohne die Bilder gesehen zu haben, hätte ich Bescheid gewusst.« Seine Stimme wurde leiser, und sein Blick wanderte von meinen Augen zu meinem Mund, meinem Hals. Ich schielte zur Küche nach Maria, konnte sie aber weder sehen noch hören.
    »Warum haben Sie nichts gesagt?«, fragte ich.
    »Ich nahm an, dass Sie mich eines Tages ansprechen würden. Ich hätte mich gern mit Ihnen unterhalten. Die Monate vor Lilas Tod war ich ständig mit ihr zusammen. Abgesehen von den Zeiten, die ich mit meinem Sohn verbrachte, war das
der beste Teil jedes Tages. Ich liebte es, mit ihr zu sprechen. Mehr noch, ich liebte es, ihr zuzuhören. Dann war sie fort. Sie sahen ihr so ähnlich, ich fragte mich, ob Sie wohl auch ähnlich klangen. Ich wollte Ihre Stimme hören. Aber Sie saßen nur in der Ecke und beobachteten mich.«
    »Immer wieder nahm ich mir vor, Sie zur Rede zu stellen«, sagte ich, »aber mir fehlte der Mut. Selbst in dieser Umgebung, mit all den Leuten um uns herum, konnte ich mir nicht sicher sein, wie Sie reagieren würden. Und dann waren Sie eines Tages verschwunden.«
    Es hatte eine Phase gegeben, einen Zeitraum von Jahren, in der ich überall nach Peter McConnell Ausschau hielt, und weil ich so intensiv nach ihm suchte, glaubte ich diverse Male, ich hätte ihn gesehen. Auf der Straße erhaschte ich einen flüchtigen Blick auf ein Profil und eilte dem Besitzer hinterher, doch er war es nicht. Oder ich bemerkte während eines Museumsbesuchs plötzlich eine Bewegung, nahm eine spezielle Neigung des Kopfes oder eine bestimmte Geste wahr, und stellte mich neben den Mann, der die Illusion unweigerlich zerstörte, indem er mir sein Gesicht zuwandte.
    Nach einem seltsamen, verwirrenden Jahr voller Sex und Alkohol nach Lilas Tod hatte ich die folgenden zehn Jahre in einer Abfolge kurzer Beziehungen verbracht, nie bereit, mich wirklich zu binden. Damals redete ich mir ein, ich sei zu beschäftigt, aber später erkannte ich, dass Peter McConnell das Problem war. Ich hatte eine Art Mythos um ihn geschaffen. Er hatte meiner Familie solch ungeheuren Schmerz zugefügt, hatte in meinem Kopf solch absurde Proportionen angenommen, dass niemand in mir die emotionale Tiefe wecken konnte, die er hervorrief. Was ich für ihn empfand, war Hass, und wenn Hass tief genug geht, dann kann keine Zuneigung sich je damit messen. Damit Liebe sich behaupten kann, muss im
Kopf und im Herzen Raum verfügbar sein; ich war so aufgefressen von meiner Wut auf ihn, dass ich keinen Raum schaffen konnte.
    »Warum haben Sie es getan?«, sagte ich leise. Das war die Frage, die ich mir fast mein halbes Leben lang gestellt hatte. Längst hatte ich die Hoffnung aufgeben, jemals eine Antwort zu finden. In diesem Moment kam ich gar nicht auf die Idee, seinen Unschuldsbeteuerungen Glauben zu schenken. Ich war viel zu lange von seiner Schuld ausgegangen, um diese Überzeugung jetzt einfach aufzugeben.
    Ich wartete. Er saß da und betrachtete abwechselnd seine Hände und mich. Maria kam mit einem Glas voller Insekten in der Hand aus der Küche. Sie ging zur Fensterbank, wo ihre Venusfliegenfallen standen, öffnete das Glas und schüttete es vorsichtig über den Pflanzen aus. Endlich sagte McConnell: »Genau das versuche ich Ihnen ja zu erklären. Ich war es nicht.«

8
    MERKWÜRDIGE DINGE PASSIERTEN den Gerüchten zufolge ständig in Diriomo - Geister, die auf dem Friedhof tanzten, Kerzen, die sich von selbst entzündeten, Musik, die aus unbekannter Himmelsrichtung durch verlassene Straßen wehte -, aber bis zu jener Nacht war mir so etwas nie passiert.
    »Ich streite nicht ab, dass ich der nächstliegende Verdächtige war«, sagte McConnell und sah mir dabei direkt in die Augen. »Aber das macht mich noch nicht zum Schuldigen.« Er zuckte nicht, wandte den Blick nicht ab.
    »Sie hatten eine Affäre mit meiner Schwester.«
    »Ja, das habe ich der Polizei gegenüber zugegeben.«
    »Erst,

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