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Niemand, Den Du Kennst

Titel: Niemand, Den Du Kennst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Richmond
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hinzufügen: »Sie waren es, Sie sind es«, aber McConnell sprach in einem stetigen, unerbittlichen Rhythmus weiter, als hätte er etwas zu sagen und nicht vor, aufzuhören, bis er fertig war.
    »Margaret und ich hielten eine Weile zusammen«, fuhr er fort. »Nicht um unserer selbst willen - das war schon lange vorbei. Wir bemühten uns für unseren Sohn Thomas darum,
zusammenzubleiben. Er war drei Jahre alt, als das Buch erschien. Am Ende des Sommersemesters packten wir unsere Sachen und zogen in den Mittleren Westen, wo Margarets Eltern lebten. Wir hatten gehofft, den Medienrummel, die Verdächtigungen in San Francisco zurückzulassen. Zu dem Zeitpunkt hatte mich die Polizei bereits zweimal befragt, und sie hatten zwar keine Beweise, um mich anzuklagen, aber das spielte keine Rolle. Nach Ansicht der meisten Leute war ich schuldig. Selbst in Ohio konnten wir diesem Buch nicht entkommen. Es war, als hätte jeder in der Heimatstadt meiner Frau es gelesen. In gewisser Hinsicht mache ich Margaret keinen Vorwurf, dass sie mich aus ihrem Leben gestrichen hat. Sie musste an Thomas denken - sie hatte Angst davor, dass es ihm schaden könnte, unter dieser Art von Mikroskop zu leben, mit diesem Stigma. Und dann war da natürlich noch Lila. Margaret wusste, dass ich niemals über Lila hinwegkommen würde.«
    McConnell sprach mit der Eindringlichkeit eines Menschen, der lange mit niemandem geredet hatte. Mir kam es merkwürdig vor, dass er seine Frau vor mir verteidigte. Die ganze Zeit überlegte ich, inwiefern das relevant war. Seine Frau, ihr gemeinsamer Sohn - das war doch nur eine unwichtige Randnotiz der größeren Geschichte: dessen, was er meiner Schwester angetan hatte.
    »Ich bin Ihnen immer gefolgt«, sagte ich. »Nachdem ich das Buch gelesen hatte, fuhr ich nach Stanford und suchte Ihr Büro. Die Sprechzeiten standen an der Tür. Ich hatte Angst davor, mit Ihnen allein zu sein, aber ich wollte Sie sehen, ein Gesicht zu dem Namen haben.«
    »In der Zeitung war ein Bild von mir.«
    »Dann wohl mehr als nur ein Gesicht. Ich wollte Sie von nahem sehen, in Fleisch und Blut. Also wartete ich eines Montags
im Flur vor Ihrem Büro. Ich trug einen großen Hut und eine Sonnenbrille. Ich kam mir albern vor. Ihre Tür war geschlossen. Davor stand eine Schlange von Studenten. Immer wieder hörte ich Lilas Namen. Es war offensichtlich, dass nicht alle mit Ihnen über ihre Kurse sprechen wollten. Es war eher, als wollten sie am Geschehen teilhaben. Ein Student bat Sie doch tatsächlich, Thorpes Buch signieren. Ich war außer mir vor Wut. Lila war tot, und alle behandelten Sie wie einen Star.«
    Ich versuchte, meine Stimme beim Sprechen ruhig zu halten, um meine Furcht nicht zu zeigen. »Nach ein paar Stunden kamen Sie endlich heraus. Mein erster Gedanke war, dass ich Sie mir anders vorgestellt hatte. Ihr Aussehen, die körperliche Beschreibung an sich - ja, das hatte Thorpe hinbekommen. Aber alles andere, wie Sie sich bewegten, wie Sie sprachen, hatte er falsch dargestellt.«
    »Natürlich. Er hat mich ja nie gesehen.«
    »Was?«
    »Ich weiß«, sagte McConnell. »Im Buch vermittelte er den Eindruck, mich ausführlich interviewt zu haben, aber in Wirklichkeit haben wir nur ein einziges Mal miteinander gesprochen, und das am Telefon, fünf Minuten lang.« Er rieb mit dem Daumen über den Schirm seiner Kappe; der Stoff war an dieser Stelle zu einem hellen Lila ausgeblichen. »Was hatten Sie sich denn vorgestellt?«
    »Ich hatte erwartet, dass Sie, ich weiß auch nicht genau, irgendwie gefährlich aussehen würden. Ich dachte, Sie hätten etwas …« An dieser Stelle stockte ich, überrascht, mich diese Dinge zu ihm sagen zu hören. Ich konnte mich ganz deutlich daran erinnern, gedacht zu haben, dass mit ihm etwas nicht stimmen müsste, vielleicht etwas in seinen Augen oder in seiner Körperhaltung, das ihn als Mörder kennzeichnete. Aber da war nichts.

    »Sie sind damals mit dem Zug zurück in die Stadt gefahren«, fuhr ich fort. »Ich ließ mein Auto stehen und folgte Ihnen. Sie gingen ins Enrico’s in North Beach. Ich setzte mich ebenfalls an einen Tisch und beobachtete Sie beim Essen. Danach fuhr ich nie mehr nach Stanford, aber jeden Montag ging ich ins Enrico’s. Und jedes Mal waren Sie da - Spaghetti mit Garnelen in Marinarasoße, Eiswasser, danach ein Espresso. Sie waren immer allein, immer am Arbeiten, schrieben immer auf Ihrem Block, als wäre die Außenwelt für Sie unsichtbar. Ich trug immer einen Hut und eine

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