Niemand, Den Du Kennst
zitterte, und mein Puls beschleunigte sich. So viele Jahre lang war ich davon überzeugt gewesen, dass McConnell ein Ungeheuer war, zum schlimmsten aller Verbrechen fähig. Doch gleichzeitig hatte ich mir auch die ganze Zeit gewünscht, ihm gegenüberzutreten, gewünscht, die Wahrheit über Lilas Tod aufzudecken, egal, wie schmerzhaft sie auch sein mochte. Ich wollte nicht den Rest meines Lebens im Unklaren über ihr Ende bleiben. In diesem Moment wollte ich unbedingt weiterreden, McConnell dazu bringen, mir alles zu gestehen. Mein Verlangen zu erfahren, was mit meiner Schwester passiert war, war noch größer als meine Angst.
Staub wirbelte um unsere Füße herum auf, als wir über den schmalen Weg auf die Hauptstraße liefen. Immer, wenn er näher kam, rückte ich ab. »Wenn es stimmt, dass Sie nicht mit ihr Schluss machen wollten, warum war sie dann so traurig?«
»Sie wissen doch, was für ein Mensch Lila war. Unsere gesamte gemeinsame Zeit über hatte sie ein schrecklich schlechtes Gewissen. Sie hatte nicht gewollt, dass ich Margaret von
uns erzähle, wollte für all das nicht verantwortlich sein. Ich versuchte ihr zu erklären, dass es nicht ihre Schuld war, sondern allein meine, und dass meine Ehe schon lange bevor wir uns begegneten, gescheitert war.«
Wir kamen an eine Kreuzung, an der eine kleine weiße Kirche Wache hielt. Eine lebensgroße Jungfrau Maria mit einem zerbrochenen Glasauge blickte uns von einem Altar am Straßenrand aus an. Die Grabsteine auf dem Friedhof bei der Kirche wirkten im Mondlicht wie riesenhafte weiße Seifenstücke.
Plötzlich packte McConnell mich am Ellbogen und riss mich an sich. Mit einem Ruck entwand ich mich seinem Griff und machte zwei Schritte rückwärts. Ich zog den Probestecher aus meiner Handtasche und hielt ihn vor meinen Körper. Noch bekam ich keinen Ton heraus und fragte mich gleichzeitig, ob mich überhaupt jemand hören würde, als er auf eine lange Schlange keine zehn Zentimeter vor seinem Fuß auf dem Weg deutete. Die Schlange, deren Körper von dunkelgrünen Rauten gezeichnet war, lag reglos da.
»Das ist eine Lanzenotter«, sagte er leise und streckte mir seine Hand hin. »Geben Sie mir das.«
Ich hatte keine Wahl, ich musste ihm vertrauen. Also gab ich ihm den Probestecher. Er umschloss den Griff mit der rechten Hand, dann ließ er das spitze Ende mit einer raschen, kraftvollen Bewegung knapp hinter dem Kopf der Schlange auftreffen, wodurch er ihn abtrennte. Der lange grüne Körper wand sich und bebte noch einen Augenblick, dann lag er still. Das gelbe Maul klaffte weit auf.
Sichtlich mitgenommen richtete McConnell sich auf und wischte den Stecher an seiner Hose ab, bevor er ihn mir zurückgab.
»Wenn die einen beißt, kann man innerlich verbluten.«
»Es tut mir leid, ich …«
»Ist schon okay«, sagte er. Er stieg über die tote Schlange hinweg und sah sich zu mir um. »Wenn Sie wollen, mache ich auf der Stelle kehrt. Ab hier dürfte Ihnen nichts mehr passieren.«
Nach einem kurzen Zögern folgte ich McConnell auf den Weg. Ich warf einen Blick auf die Schlange, dann auf ihn. Nebeneinander setzten wir unseren Weg fort, mein Herz klopfte wie verrückt.
»Warum Lila?«, fragte ich. »Sie müssen doch gewusst haben, wie unerfahren sie war. Wenn Sie schon Ihre Frau betrügen wollten, warum konnten Sie sich dann keine andere suchen?«
»So war es nicht. Margaret und ich hatten uns ein anständiges Leben zusammen aufgebaut, und unser Sohn bedeutete mir alles. Aber Margaret verstand meine Arbeit nicht. Für sie war das alles nicht wichtig. Solange ich nur beruflich vorankam, war sie zufrieden. Als wir uns kennenlernten, gefiel mir das an ihr. Sie interessierte sich für Kunst und Tanz, Dinge, von denen ich nichts verstand. Es war ein schönes Gleichgewicht, und ich glaubte, dass sie die Art von Frau wäre, die sich um die Dinge zu Hause kümmern, unseren Kindern ein glückliches Leben bereiten könnte, während ich mich auf die Arbeit konzentrierte. Aber dann traf ich Ihre Schwester und stellte fest, dass ich mehr als das wollte.«
»Wie haben Sie sie kennengelernt?«, fragte ich.
Vor so langer Zeit hatte ich versucht, Lila diese Information zu entlocken. Jahrelang hatte ich ihr alles über die Jungs erzählt, mit denen ich ausging. Sie schien Vergnügen an meinen Eskapaden zu haben und hatte mehr als einmal gesagt, dass sie manchmal das Gefühl hatte, als würde ich all diese Geschichten stellvertretend für sie miterleben. Daher war
ich tief
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