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Niemand, Den Du Kennst

Titel: Niemand, Den Du Kennst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Richmond
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beschrieb, dass er mich benutzte, um eine Figur zu schaffen, die in seine Geschichte passte, auf den Verlauf meines Lebens irgendwie Einfluss genommen hatte. Die Ellie, die er auf die Seiten bannte, war unschlüssig, ohne Halt, nicht in der Lage, ihren Weg zu finden. Nahm ich mir seine Worte zu sehr zu Herzen?
    Doch es gab einen Teil der Geschichte, den nicht einmal der Autor hätte vorhersehen können.
    Fast zwanzig Jahre später, in einem Café in Südamerika, stand der Bösewicht aus Thorpes Buch vor mir, groß und mit leiser Stimme, nervös wie ein Schuljunge, und sagte: »Wissen Sie, wer ich bin?«
    Der Blick in Peter McConnells dunkle Augen erweckte in mir denselben Eindruck wie damals, als ich ihn vor seinem Büro in Stanford zum ersten Mal sah - die Empfindung, dass sein Gesicht aus vollkommen gewöhnlichen Merkmalen bestand, die zusammen etwas Unvergessliches ergaben.
    »Ja«, brachte ich mühsam heraus.
    »Darf ich mich setzen?«
    Das gehörte nicht zu meiner Geschichte, gehörte nicht zu meiner Version der Handlung meines Lebens. Der Mörder meiner Schwester würde nicht einfach in einem Café auf mich zukommen und fragen, ob er sich zu mir setzen darf. Ich musste erneut genickt oder eine zustimmende Antwort gegeben haben, denn Peter McConnell setzte sich auf den Stuhl mir gegenüber, legte sein Buch auf den Tisch, die Kappe auf das Buch und platzierte seine großen Hände mit den Handflächen nach unten seitlich von Buch und Kappe, als wüsste er nicht, was er sonst mit ihnen anfangen sollte.
    »Wie haben Sie mich gefunden?«

    Ich war enttäuscht von meiner Stimme, die schwach und zögerlich klang. Die ganze Wut, die ich in der Vergangenheit schweigend gegen diesen Mann gerichtet hatte, der ganze Abscheu blieb irgendwo in mir eingeschlossen, an einem Ort, den ich in diesem entscheidenden Moment nicht erreichen konnte. Das Einzige, was zutage trat, war meine Verwunderung, die für ihn so eindeutig gewesen sein musste wie der Klang von Marias Schritten in der Küche.
    »Habe ich nicht. Sie haben mich gefunden.«
    »Ich bin nur beruflich hier«, protestierte ich. Immer noch hatte ich Mühe, seine Anwesenheit hier zu erfassen, hatte Mühe zu begreifen, wie er hier auftauchen konnte, ausgerechnet hier, aus heiterem Himmel. »Ich komme seit Jahren in dieses Dorf«, ergänzte ich.
    Die Suche nach Peter McConnell hatte ich schon vor langer Zeit aufgegeben. Meine Reisen in die Kaffeeregionen dieser Welt - Huatusco, Yirgacheffe, Poas, Sumatra - waren in erster Linie ein Versuch, diesen Teil meiner Vergangenheit hinter mir zu lassen. Obwohl ich San Francisco immer noch als Zuhause betrachtete, verbrachte ich ein Gutteil meiner Zeit unter Menschen, die meine Sprache nicht kannten, in Landschaften, die keine Ähnlichkeit mit meiner Heimatstadt hatten, an Plätzen, wo mich nichts an Lila erinnern würde. Ich fühlte mich gelöst, wenn ich zwischen Kaffeesträuchern hindurchspazierte, den Dunst eines ungewohnten Klimas spürte und fremde Erde roch. Zu Hause war ich immer nervös, sah mir ständig über die Schulter. Im Ausland fand ich eine Art Frieden.
    »Ich weiß«, sagte er. »Ich habe Sie schon gesehen.«
    »Wie bitte?«
    »Es ist ein kleiner Ort. Sie fallen auf. Das erste Mal war vor etwa fünf Jahren. Sie waren auf dem Straßenmarkt. Ich wollte
Sie ansprechen, aber dann fing es zu regnen an und Sie rannten weg.«
    Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Mir schoss der Gedanke durch den Kopf, dass er mir vielleicht hierher gefolgt war, dass er mit mir das Gleiche vorhatte, was er mit meiner Schwester gemacht hatte. Es kam mir surreal vor, als hätte ich ihn mir aus dem Nichts herbeigeträumt. Ich blickte mich zu Maria um - um mich ihrer Existenz oder vielleicht ihres Schutzes zu vergewissern, ich weiß es nicht genau. Aber sie lächelte nur.
    »Sie sagten, das erste Mal. Gab es noch weitere?«
    »Ja.«
    »Wie viele?«
    Er stockte kurz. »Drei.«
    »Leben Sie hier?«
    »Seit siebzehn Jahren.«
    Ich ertappte mich dabei, dass ich Peter McConnells Hände anstarrte, seine langen Arme. Das waren, laut Thorpe, die Hände, die meine Schwester getötet hatten, die Arme, die sie in den Wald getragen und dort zurückgelassen hatten.
    »Ich kam wegen des Buches nach Nicaragua«, erzählte er. »Meine Frau Margaret glaubte natürlich nicht, was Thorpe geschrieben hatte. Aber es war alles zu viel für sie. Es spielte keine Rolle, dass sie wusste, ich war kein Mörder, weil alle anderen es glaubten.«
    Ich wollte

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