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Niemand, Den Du Kennst

Titel: Niemand, Den Du Kennst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Richmond
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…«
    »Es ist ein kleines Dorf.«
    Noch immer war ich nicht bereit, das Gespräch enden zu lassen. Es gab noch so viel, was ich unbedingt erfahren wollte. Mir fiel etwas ein, das ich Thorpe anvertraut und das er in seinem Buch zitiert hatte. »Ich hoffe, es war niemand, den sie kannte und dem sie vertraute«, hatte ich mehr als einmal zu ihm gesagt. Was McConnell mir anzubieten schien, nach all diesen Jahren, war eine andere Version der Geschichte, eine, in der Lilas Mörder nicht gleichzeitig ihr Geliebter war. Was auch immer die Wahrheit war - ich musste es wissen.
    Ich spürte einen warmen Wassertropfen auf der Hand, dann noch einen. McConnell sah zum Himmel.
    »Können wir morgen noch mal miteinander reden?«, fragte ich.

    Er bohrte seine Schuhspitze in den Staub. »Sie werden mich nicht wiedersehen. Ich wollte Sie nur treffen und sagen, was ich zu sagen habe. Das Ganze ist lange her. Ich weiß nicht genau, was Ihrer Ansicht nach passiert ist, ich weiß nicht, was Sie von mir halten oder von diesem furchtbaren Buch. Ich weiß nicht einmal, ob Sie überhaupt daran denken. Aber es ist wichtig für mich, Ihnen das zu sagen, Ellie - ich war es nicht, ich hätte das niemals tun können. Ich habe Ihre Schwester geliebt. Ich habe sie mehr geliebt, als Sie, oder Lila, je wissen werden. Alles geschah vor so langer Zeit, heute spielt es kaum noch eine Rolle für mich, was die Leute glauben. Aber Ihre Meinung spielt eine Rolle, denn Lila sprach unentwegt von Ihnen, Sie waren der Mensch, dem sie auf der ganzen Welt am nächsten stand.«
    Damit hatte er unrecht. Ich liebte sie, aber wir standen einander nicht so nahe, wie ich es gern gehabt hätte. Sie hatte mir nichts von ihm erzählt. An jenem Morgen war sie nicht bereit gewesen, mir zu sagen, warum sie weinte. Ich nahm an, dass Peter McConnell - nicht ich - der eine Mensch war, dem sie nichts verschwiegen hatte.
    Der Regen wurde jetzt stärker, klatschte auf die Blätter der Bäume, prasselte auf die Erde. Einem Impuls folgend sagte ich: »Gehen Sie noch nicht.« Ich trat unter das Vordach des Hotels und McConnell folgte mir.
    »Bitten Sie mich hinein?«
    »Ja.«
    José, der Eigentümer der pensión , verschloss die Tür immer um Mitternacht. An meine nächtlichen Spaziergänge gewöhnt, hatte er mir einen Schlüssel gegeben. Unnötig geräuschvoll öffnete ich jetzt die Tür, nur um ihn wissen zu lassen, dass ich da war. Wir durchquerten die leere Lobby. In einer Mauernische hinter dem Empfangstresen befand sich
eine Statue der Jungfrau Maria. Die Kerzen daneben waren abgebrannt. McConnell lief hinter mir her, sein langer Schatten fiel vor mir auf die Treppenstufen. Als wir an Josés Zimmer vorbeikamen, sprach ich extra laut. Falls mir etwas zustieße, sollte jemand wissen, dass ich in dieser Nacht nicht allein gewesen war. Ich hörte in Josés Wohnung Bettfedern knarren, Schritte zur Tür schlurfen, hörte, wie die Klappe vor dem Spion beiseitegeschoben wurde.
    Am Ende des Flurs steckte ich meinen Schlüssel ins Schloss, machte die Tür zu meinem Zimmer auf und wartete, bis McConnell nach mir eingetreten war. Ein Deckenlicht gab es nicht, nur eine Stehlampe mit uraltem Schirm, die einen trüben gelben Schein verbreitete.

9
    MEIN ZIMMER WAR SCHLICHT EINGERICHTET: ein Bett, ein Holzstuhl, ein Schrank und ein kleiner Tisch. Ein schmaler Durchgang führte in das winzige Bad. Es war heiß. Ich schaltete den Deckenventilator an, und er begann zu knacken und zu summen.
    »Ich habe Rum«, sagte ich. »Möchten Sie?«
    »Nur einen kleinen, bitte.«
    Ich holte die Flasche und zwei Gläser hervor und goss uns beiden etwas ein. Noch immer trug ich meine Tasche über der Schulter, den Probestecher in Griffweite.
    »Setzen Sie sich doch.« Ich deutete auf den Stuhl. Die Möbel waren vergleichsweise klein, und als McConnell saß, ragten seine Knie absurd in die Luft. Er legte die Kappe und das Buch neben sich auf den Fußboden. Ich setzte mich ihm direkt gegenüber auf die Bettkante, die Tasche neben mir auf der Matratze liegend.
    Er kostete von dem Rum, schloss die Augen beim Schlucken. »Der ist sehr gut.«
    Meine Mutter gab mir immer gute Ratschläge aus ihrer Erfahrung als Anwältin. Eine häufig wiederholte Empfehlung war, dass man, wenn man von jemandem etwas von Bedeutung erfahren wollte, zuerst Vertrauen aufbauen musste, indem man ihm eine persönliche Information über sich selbst
gab. »Das war ein Geschenk«, sagte ich. »Von einem örtlichen Kaffeebauern. Deshalb bin

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