Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Niemand, Den Du Kennst

Titel: Niemand, Den Du Kennst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Richmond
Vom Netzwerk:
sind beinahe zu vollkommen, ihre Symmetrie zu exakt. Dies war einer jener Augenblicke: Während ich San Francisco betrachtete, betrachtete Ben mich. Unsere Blicke trafen sich im Fenster.
    »Komisch«, sagte er. »Niemand, der zum ersten Mal in dieses Haus kommt, braucht länger als fünf Sekunden, um von genau diesem Punkt angezogen zu werden.«
    »Toller Blick.«
    »Ja, das stimmt. Wenn jetzt die Stadt noch in ein gigantisches Nebelgebläse investieren würde, könnte es immer so gut aussehen.«
     
    Ben hatte darauf bestanden, mir ein Glas 2002er Malbec vom Gut eines Freundes in Patagonien einzuschenken. Wir saßen an einem kleinen Tisch in einem Eckchen neben der Küche, aßen Hühnchen mit Stampfkartoffeln, das er auf zwei Teller verteilt hatte, und nippten an unserem Wein. Ich kannte ihn kaum und mochte ihn doch schon. Mir gefiel die legere Art, mit der er mich in seinem Haus empfing, die unmittelbare Vertrautheit, die er durch seine Scherze herstellte, als wäre ich eine alte Freundin. Man merkte ihm an, dass er ein Mensch war, der sich in der Welt zu Hause fühlte - ein Talent, um das ich Leute wie ihn immer beneidet hatte. Auch ich wäre viel lieber so, mir war meine eigene Förmlichkeit oft selbst peinlich, die leichte, aber ärgerliche Steifheit in Gesellschaft, die ich nie ganz überwinden konnte.
    Ich trank einen Schluck Wein. »Wie ist er?«, fragte Ben.
    »Gut.«
    »Ein bisschen fruchtig für meinen Geschmack, aber nicht
übel«, sagte er. »Das Hühnchen hingegen ist ausgezeichnet. Kochen Sie?«
    »Ein wenig. Und Sie?«
    »Ich kenne ein paar Kniffe.«
    Das Telefon klingelte, und er nahm im Wohnzimmer ab. Die Nische neben der Küche führte wiederum in einen kleinen Raum mit Fernseher, Sesseln und einer Karaokeanlage. Ein paar Emmys standen oben auf dem Fernseher, der zwar lief, aber stumm auf das Aufnahmemenü des DVD-Rekorders geschaltet war. Ich nutzte die Gelegenheit von Bens Abwesenheit, mir anzusehen, was er aufgenommen hatte: die Kochshow Top Che f, die Designer-Castingshow Project Runway , die Storytellers -Folge mit Elvis Costello, Waterland und The Last Waltz , Martin Scorseses klassische Dokumentation über The Band.
    Ich verrenkte mir immer noch den Hals, um einen Blick auf den Bildschirm zu erhaschen, als Ben zurückkam. »Erwischt.« Er nahm die Fernbedienung von der Couch und stellte den Fernseher aus. »Also, Sie sind wegen Billy Boudreaux hier?«
    Ich erzählte ihm von Lila und von Boudreaux’ weißem Chevy draußen in Armstrong Woods. Dann zog ich eine Kopie des Artikels aus dem Rolling Stone aus der Tasche, den ich in einer Bibliothek ausgegraben hatte, und gab ihn Ben.
    »Ah ja, daran kann ich mich erinnern«, sagte er. »Billy wohnte damals in Lower Haight. Wir trafen uns in einer Bar dort. Das war’83 oder’84, aber er lebte immer noch, als wären es die guten alten Tage« - Ben beendete seinen Satz mit einer Zeile aus einem Song - »all strung out on heroin on the outskirts of town.« Seine Singstimme war klar und tief. Das ganze Karaoke machte sich vielleicht bezahlt. »Kennen Sie den?«, fragte er.

    Ich kam mir vor wie bei einem Test und war froh, die Antwort zu wissen. »Warren Zevon. ›Carmelita‹.«
    »Nicht schlecht.« Er ließ die Kopie des Artikels auf den Tisch fallen. »Ich habe Billy ganz im Vertrauen gefragt, was zum Teufel er da treibt. Er war ein fantastischer Bassist, und er warf alles weg. Er erzählte mir, er wolle clean werden, und ich weiß noch ganz genau, was ich zu ihm sagte: ›Das hoffe ich für dich, aber deine Chancen stehen nicht gut.‹ Ich hatte inzwischen für den Rolling Stone über die Tode von Jim Morrison, Janis Joplin und Elvis berichtet. Ich konnte sehen, wohin das führte.«
    »Am Ende des Interviews«, sagte ich, »steht, dass Sie beide sich verabreden, sich genau ein Jahr später im Top of the Mark wieder zu treffen. Er sagt, bis dahin sei er ein anderer Mensch. Er verspricht sogar, Ihnen einen auszugeben. Ist das jemals passiert?«
    Ben schüttelte den Kopf. »Ich habe fünfundvierzig Minuten gewartet, aber er ist nicht aufgetaucht. Da saß ich also um vier Uhr an einem Mittwochnachmittag und trank ganz allein Scotch im Top of the Mark. Außer mir war da nur noch eine lärmende Bande Kerle auf einem Junggesellenabschied. Ich kam zu dem Schluss, dass Billy entweder tot sein oder völlig fertig in einem billigen Motel im Tenderloin liegen musste.«
    »Und das war’s? Sie haben ihn nie wieder gesehen?«
    Ben dachte einen Augenblick nach.

Weitere Kostenlose Bücher