Niemand, Den Du Kennst
Eines fiel mir im Gespräch mit ihm auf; er setzte nie falsch an, es gab keine Äh s und Also s oder sonstige sprachliche Ticks. Seine Worte und Sätze kamen präzise, wie vorformuliert. Das musste an der Radio-Routine liegen.
»Einmal bin ich ihm zufällig begegnet, in der Abteilung Rhythm & Blues bei Amoeba Records. Er war merkwürdig angezogen, in Arbeitsoverall und Stiefeln. Er schüttelte mir
die Hand, entschuldigte sich heftig dafür, dass er mich an jenem Tag im Top of the Mark versetzt hatte, und erbot sich, mir einen auszugeben. Wir gingen rüber ins Zam Zam und schlürften Martinis im Hinterzimmer.
Das war noch zu der Zeit, als der Barkeeper sich weigerte, etwas anderes als Martinis zu servieren. Billy machte den Fehler, einen Bourbon mit Cola zu bestellen, er lieferte sich ein kleines Wortgefecht mit dem Barkeeper und wir wären beinahe rausgeworfen worden. Am Ende entschied er sich für einen Martini und erzählte mir, was er in den vergangenen Jahren getrieben hatte. In den späten Achtzigern war er an seinem absoluten Tiefpunkt angekommen, und 1990, nach einer kleinen Kollision mit der Sterblichkeit, wie er es ausdrückte, beschloss er, endgültig clean zu werden und sein Leben umzukrempeln. Er zog zurück nach Petaluma, um auf dem Milchhof seines Bruders zu arbeiten - es klang, als hätte er über die Jahre immer wieder mal dort gewohnt. Und genau das tat er noch, als ich ihm damals über den Weg lief. Er war nur in die Stadt gekommen, um alte Freunde zu treffen, doch das Wiedersehen war nicht so gut gelaufen, und an diesem Nachmittag war er auf dem Weg zurück zum Bauernhof. Sosehr er die Stadt liebte - er glaubte, für ihn sei das ein gefährliches Pflaster. Zu viele schlechte Angewohnheiten, die an jeder Ecke lauerten, schätze ich mal.
Ich freute mich, ihn weg von den Drogen zu sehen, aber gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass er immer noch anfällig war, als könnte seine Psyche jederzeit einen Knacks bekommen und ihn zurück in den Abgrund wirbeln. In diesem Gespräch erwähnte er wieder und wieder seine Dämonen. Das machte mich ein bisschen nervös.«
»Wie war er als Musiker?«
Ben dachte kurz nach. »Er ist nie ganz angekommen, aber
er hätte ein Großer werden können. Als ich ihn zuletzt sah, hatte er die Musik noch nicht völlig an den Nagel gehängt. Ich hatte es ein bisschen eilig, musste zu KSAN, um Sheryl Crow zu interviewen, aber er wollte mir unbedingt eine Kassette geben, obwohl sein Auto ein paar Blocks weiter geparkt stand. Im Keller seines Bruders hatte er etwas aufgenommen, vier neue Songs, die er auch selbst geschrieben hatte. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viele Leute mir in all den Jahren ihre Tapes in die Hand gedrückt haben - in San Francisco hat die Hälfte aller jungen Kerle, denen man auf der Straße begegnet, eine Band und ein Tape. Aber dieses hier wollte ich wirklich gerne hören, weil ich wusste, was für ein Potenzial Boudreaux einmal gehabt hatte.«
»Wie war die Aufnahme?«
»Ganz gut. Nicht so wie die Sachen mit Potrero Sound Station, aber es hatte eindeutig was. Vielleicht finde ich die Kassette sogar noch irgendwo.«
Wir gingen nach unten, wo der Flur mit schwarz-weißen Hochzeitsfotos gepflastert war - Ben mit Schnurrbart und zotteligen Siebzigerjahre-Haaren, seine Frau Dianne mit Bubikopf und fließendem weißem Kleid wie ein beseeltes Sinnbild dieser Zeit.
»Wunderbare Fotos«, sagte ich.
»Die hat Annie Leibovitz gemacht. Da ist sie.« Er deutete auf ein Bild von ihm und Dianne quer über einem Bett liegend. Seine Miene war unbewegt, und sie lachte, als hätte er gerade einen irrsinnig komischen Witz erzählt. Die Kamera war auf einen Spiegel gerichtet, und in einer Ecke des Bildausschnitts war Leibovitz selbst zu sehen, wobei der Apparat einen Teil ihres Gesichts verdeckte. »Da ist Jann Wenner.« Er zeigte auf ein anderes Foto. »Und das hier ist Cameron Crowe.«
Das Arbeitszimmer lag am Ende des Flurs. Es hatte riesige Fenster, einen Schreibtisch, der sich an der Wand entlang um den Raum zog, und deckenhohe Regale. An den Wänden hingen Fotos von Ben mit Ray Charles, Johnny Cash, Bob Dylan, Jim Morrison, George Harrison, Janis Joplin, Grace Slick, Bill Clinton.
»Wow«, sagte ich. »Sie sind wie Zelig.«
»Ich war einfach nur zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Es gab Zeiten, da konnte man kaum durch die Straßen von San Francisco laufen, ohne über einen aufstrebenden Rockstar zu stolpern.«
»Ich habe erst vor kurzem
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