Niemand, Den Du Kennst
Jahren war 2003 erschienen und hatte positive Kritiken sowohl von einem alternativen Wochenmagazin aus Denver als auch von der schottischen Time Out bekommen. Der Schreiber beklagte, dass das Album von allen bedeutenden Publikationen übergangen worden sei, abgesehen von einer einzeiligen Erwähnung in einem Quiz in der Zeitschrift Paste . Laut der
Website lebte das andere Gründungsmitglied, Drew Letheid, mit seiner Bankerehefrau und zwei Kindern in Greenwich und gab nie Interviews. In Bezug auf Billy Boudreaux gab die Seite nur die Information »Aufenthaltsort unbekannt«.
Es dauerte nicht lange, eine Autowerkstatt namens Walsh in Aurora, Colorado, aufzuspüren. Es war halb fünf Uhr nachmittags Ortszeit, als ich die Nummer wählte. »Walsh«, meldete sich eine Stimme. »Was kann ich für Sie tun?«
»Kevin Walsh?«
»Der bin ich.«
»Ich rufe wegen der Band an«, platzte ich heraus.
»Was für eine Band?«
»Potrero Sound Station.«
Er lachte. »Na, da holt mich wohl die Vergangenheit ein. Sind Sie von VH1? Nichts für ungut, aber ich habe kein Interesse an einem Auftritt in Bands Reunited . Das ist alles lange her, ein völlig anderes Leben.«
»Ich bin nur eine alte Bekannte von Billy Boudreaux«, sagte ich.
»Bekannte? Klingt, als würde er Ihnen Geld schulden. Dann sollten Sie am besten eine Nummer ziehen und sich in die Warteschlange einreihen.«
»So ist das nicht. Ich interessiere mich nur dafür, was aus ihm geworden ist.« Noch hatte Walsh nicht aufgelegt. Das musste ein gutes Zeichen sein, also wagte ich die Flucht nach vorn. »Sie wissen nicht zufällig, wo er ist?«
»Tut mir leid, Herzchen. Sie fragen den Falschen. Ich habe seit Jahrzehnten nichts von ihm gehört. Er hat sich da auf ein paar schlimme Sachen eingelassen.«
»Was für schlimme Sachen?«
»Koks, Meth, alles Mögliche.«
»Wissen Sie, ob er nach der Auflösung der Band in San Francisco geblieben ist?«
»Er blieb ein paar Jahre dort, aber ich weiß nicht, wie lange. Er hatte sich von uns allen ziemlich entfremdet. Wurde einfach zu einem totalen Arschloch, hat sich unmöglich benommen. Traurig eigentlich, denn bevor er mit dem Drogenscheiß angefangen hat, war er ein wahnsinnig netter Typ, ein Genie am Bass.« Er hielt inne. »Wissen Sie was, wir wurden einmal in einem Rolling - Stone -Artikel erwähnt, was weiß ich, 1984 oder so. Ben Fong-Torres hatte den damals geschrieben. Ich war zu der Zeit schon hier in Colorado und Drew hatte einen ordentlichen Job angenommen. Am Ende hat Fong-Torres dann Billy interviewt.« Wieder stockte er kurz. »Mehr kann ich Ihnen auch nicht sagen.«
»Danke«, sagte ich. »Sie haben mir sehr geholfen.«
»Aber gern doch. Wenn Ihr Auto jemals in Colorado den Geist aufgibt, dann wissen Sie, wen Sie anrufen müssen.«
Ich wusste, wer Ben Fong-Torres war. Ich hatte den Film Almost Famous gesehen und im Laufe der Jahre einige seiner Porträts berühmter Musiker gelesen. Er wohnte immer noch in San Francisco, wo er eine wöchentliche Radiosendung moderierte. Vier Tage später stand ich abends vor seinem imposanten dreigeschossigen Haus auf einem Hügel im Stadtteil Castro. Ich hatte ihn über den Sender KRFC kontaktiert und sofort eine Antwortmail erhalten.
Ich klingelte. Es knackte in der Gegensprechanlage. »Ist da Miss Enderlin?« Bens Stimme war tief und klangvoll, genau wie im Radio. Ich stellte mir vor, dass man mit so einer Stimme keinerlei Probleme hatte, Frauen kennenzulernen.
»Ja, hallo.«
»Sie sind eine Stunde zu früh. Sie müssen später noch mal vorbeikommen.«
»Tut mir leid«, sagte ich sofort, dann erst wurde mir klar, dass das ein Witz war.
»Der Aufzug ist geradeaus und links. Fahren Sie in den zweiten Stock.« Ich dachte, das wäre auch ein Witz, aber nachdem er die Eingangstür mit dem Summer geöffnet hatte, entdeckte ich, dass da tatsächlich ein kleiner Aufzug war, ausgestattet mit einem Teppich im Leopardenmuster und golden angestrichenen Wänden. Ich stieg ein, drückte auf die 2 und überprüfte im Taschenspiegel meine Zähne auf Lippenstiftspuren. Ich hasste es, in San Francisco Aufzug zu fahren, immer malte ich mir den Katastrophenfall aus, das gefürchtete große Erdbeben. Wenn danach die Sirenen heulen und Nachbeben das Gebäude erschütterten, würde ich ganz allein zwischen den Stockwerken festhängen, während das Haus um mich herum zerbröckelte. Lila machte sich immer über meine blühende Fantasie lustig. Sie versuchte mich zu beruhigen, indem sie die
Weitere Kostenlose Bücher