Niemand hört dich schreien (German Edition)
»Stets zu Diensten. Wohin?«
»Jackie Whites Mann hat angerufen. Er will mit mir reden.«
»Ausgezeichnet.«
Trotz ihrer schlechten Laune entlockte Mike ihr ein Lächeln. Diesen Kerl konnte nichts aus der Ruhe bringen.
Eine halbe Stunde später standen Kendall und Mike vor Phil Whites Reihenhaus. Kendall klopfte.
Beinahe sofort öffnete sich die Tür, und vor ihnen stand ein Mann in grauem Anzug, weißem Hemd und mit einer rosa gestreiften Krawatte. »Ja, bitte?«
»Ich bin Kendall Shaw von den Channel-10-Nachrichten. Ich würde gern mit Phil White über den Tod seiner Frau sprechen.« Der Anzugmann runzelte die Stirn. »Er spricht nicht mit Reportern.«
Sie gab nicht klein bei. »Und Sie sind?«
»Sein Anwalt.«
Aha, ein bemerkenswertes Detail. »Mr White hat mich angerufen.«
»Spielt keine Rolle. Er redet nicht mit den Medien.«
Er machte Anstalten, die Tür zu schließen, aber sie stellte blitzschnell den Fuß dazwischen. »Falls er eine Geschichte zu erzählen hat, bin ich diejenige, der er sie erzählen sollte.«
»Gehen Sie.«
»Ich will mit ihr reden.« Die Männerstimme kam aus dem Inneren des Hauses. Der Mann, auf den sie neulich nur einen Blick hatte erhaschen können, kam auf sie zu. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen und sich offenbar seit Tagen nicht rasiert.
»Phil White«, sagte Kendall, die den Anzugmann inzwischen ignorierte.
»Ja.«
»Haben Sie Ihre Frau umgebracht?«
Blutunterlaufene Augen musterten sie. »Nein, das habe ich nicht.«
Der Nachdruck in seiner Stimme berührte sie, doch so schnell ließ sie sich nicht um den Finger wickeln. Sie hatte in ihrem Leben schon einige charmante Mörder interviewt. »Dann möchte ich Ihnen mein herzliches Beileid zum Tod Ihrer Frau aussprechen.«
Die Bemerkung schien White zu besänftigen. »Danke.«
Sie rührte sich nicht von der Schwelle. Sie wollte dieses Interview. »Ich würde gern mit Ihnen über Jackie sprechen. Ich möchte Ihre Version der Geschichte hören.«
Der Anzugmann runzelte die Stirn. »Phil, es ist keine gute Idee, mit der Presse zu reden. Sie müssen sich jetzt bedeckt halten.«
White schüttelte den Kopf. »Wenn ich nicht mit der Presse rede, wird niemand wissen, was ich denke und fühle.«
»Das muss auch niemand wissen«, sagte der Anzugmann. »Solange es nur der Richter weiß.«
White schob das Kinn vor und ließ sich den Ratschlag durch den Kopf gehen. »Nein, Harvey, wenn es nach der Polizei geht, wandere ich schnurstracks in den Knast.«
Kendall vibrierte vor Aufregung. Die Cops mussten White über seine Rechte informieren, damit er sich nicht selbst belastete, doch sie unterlag diesen Vorschriften nicht. »Dann erzählen Sie mir, was hier los ist.«
Ein letztes Mal versuchte der Anzugmann, die Tür zu schließen und White umzustimmen.
Kendall nahm den Fuß nicht aus der Tür. »Reden Sie mit mir, Mr White«, drängte sie.
White schob seinen Anwalt beiseite und machte die Tür weit auf. Kendall betrat das Reihenhaus und sog begierig jede Einzelheit auf.
»Irgendwie erinnern Sie mich an Jackie«, meinte White. »Nicht wie sie jetzt ist, aber wie damals, als wir uns kennengelernt haben.«
Der Vergleich gefiel ihr nicht besonders, dennoch brachte sie ein Lächeln zustande. »Ich weiß nicht recht, was ich dazu sagen soll.«
White zuckte die Schultern. »Da gibt’s nichts zu sagen. Fiel mir nur auf.«
Die Kamera schwenkt über den vereisten James River.
Aus dem Off kommt Kendall Shaws Stimme. »Letzten Dienstag haben Bauarbeiter keine hundert Meter von hier entfernt die Leiche von Jackie White gefunden. Die ermittelnden Beamten haben noch keinen Verdächtigen benannt. Und Jackie Whites Mann will unbedingt ihren Mörder finden.«
Schnitt auf White in seinem Wohnzimmer. Er hält ein Hochzeitsfoto von sich und Jackie in der Hand. Sie sind irgendwo in den Tropen. White grinst auf dem Foto breit, und Jackie strahlt übers ganze Gesicht.
»Wir haben die Flitterwochen auf Hawaii verbracht«, sagt Phil White. »Sie war noch nie geflogen, und ich wollte etwas ganz Besonderes für sie. Also habe ich sie mit einer Reise nach Hawaii überrascht.«
Phil White wendet den Blick von dem Foto ab. In seinen Augen glitzern Tränen, als er in die Kamera schaut. »Es war eine märchenhafte Zeit. Sie war einer der besten Menschen, die ich je kennengelernt habe. Freundlich, liebevoll. Ich weiß nicht, wer ihr das angetan haben könnte.«
Ein kurzer Ausschnitt mit Jacob Warwick und Zack Kier, die gerade in den Wagen
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