Niemand hört dich schreien (German Edition)
steigen. »Die Polizei gibt keine Einzelheiten preis und lehnt ein Interview ab. Aber laut Quellen, die mit dem Fall vertraut sind, ist Phil White tatverdächtig.«
»Mich zu verdächtigen ist leicht«, erklärt White. »Der Ehemann ist immer der Erste, auf den der Verdacht fällt. Aber ich habe es nicht getan. Und je länger die Polizei mich im Visier hat, desto länger läuft der wahre Mörder frei herum.«
Jacob konnte sich den Beitrag nicht länger anschauen. Er drückte »Pause« und drehte sich im Konferenzraum zu Sergeant David Ayden um. »Bei ihr klingt es wie eine verdammte Hexenjagd.«
Ayden trank einen Schluck von seinem abgestandenen Wasser und schnitt eine Grimasse. »Ihr geht es immer nur um die Story. In ihrem Beruf sind die Quoten das Wichtigste. Was ich gerne wüsste, ist, wie sie an die Identität des Opfers gekommen ist.«
Keines der Fotos, das White beim Interview präsentierte, war zu sehen gewesen, als Jacob und Zack bei ihm waren. Die ganze Szene war gestellt. »Ich weiß es nicht«, antwortete Jacob.
»Und er spielt den trauernden Ehemann.« Aus Aydens Worten sprach Abscheu. »Mit einer schwangeren Freundin in der Warteschleife, die unbedingt heiraten will. Warum Ms Shaw das wohl nicht erwähnt hat?«
Gerade erst gestern, als Jacob Kendall im Aufzug getroffen hatte, hatte für einen Augenblick Offenheit zwischen ihnen geherrscht. Sie waren allein miteinander gewesen und hatten einen flüchtigen Blick aufeinander erhascht.
Und was Jacob gesehen hatte, hatte ihm gefallen. Kendall besaß unglaublich viel Mut und Temperament. Da war etwas zwischen ihnen, was ihn nicht gleichgültig ließ. Aber innerhalb weniger Sekunden hatte sie es wieder geschafft, ihn bis aufs Blut zu reizen.
»Wie zum Teufel ist sie an das Interview mit White gekommen?«, fragte Ayden erneut.
»Soweit ich es verstanden habe, hat er sie angerufen«, erwiderte Jacob.
Ayden runzelte die Stirn. »Wenn ich rauskriege, wer da geplaudert hat, kann sich dieser Jemand auf etwas gefasst machen.«
»Ich habe mich umgehört. Alle schwören Stein und Bein, dass sie es nicht waren.« Jacob nahm sich fest vor, sich von Kendall fernzuhalten.
»Was ist mit Whites Geschichte?«, fragte Ayden.
»Seine Freundin bestätigt seine Aussage. Sie behauptet, sie sei am Freitagabend bis elf Uhr mit ihm zusammen gewesen. Außerdem hat sie zwei Nachbarinnen benannt, die dasselbe aussagen.« Jacob referierte die Fakten, die er inzwischen zur Genüge kannte. »Phil Whites Telefonverbindungen haben nichts Ungewöhnliches zutage gefördert. Die Kontoauszüge sind sauber und weisen keine großen Geldentnahmen auf.«
»Dann gibt es abgesehen von den Indizien also keine Verbindung zwischen White und dem Fall?«
»Bisher nicht. Jackie White war bei einem Psychotherapeuten, Dr. Herman Thompson. Er ist zurzeit im Urlaub und kommt erst am Montag wieder. Möglicherweise kann er uns ein paar Einblicke in seine Patientin liefern.«
»Haben Sie Jackie Whites Eltern ausfindig gemacht?«, fragte Ayden.
»Sie sind vor fünfzehn Jahren verstorben. Sie waren schon älter, und sonst hat sie keine Verwandten.«
»Gibt’s sonst noch was?«
»Tess war noch zweimal am Tatort. Sie und ein Dutzend Uniformierte haben das Gebiet Zentimeter für Zentimeter abgegrast. Aber sie haben nichts Neues gefunden.«
Ayden stemmte die Hände in die Hüften. »Wer zum Teufel hatte denn sonst ein Motiv, Jackie White umzubringen? Sie war anscheinend in jeder Hinsicht eine verdammte Heilige.«
»Es gibt noch einen Aspekt, der mich die ganze Zeit beschäftigt.« Jacob deutete mit dem Kopf in Richtung Fernsehbild. »Jackie White ähnelt Kendall Shaw.«
Ayden wirkte skeptisch. »Das ist ein ganz schöner Schuss ins Blaue.«
»Kann sein, kann auch nicht sein. Aber ich würde gerne ein bisschen herumschnüffeln und herausfinden, ob Kendall in letzter Zeit unerwünschte Aufmerksamkeit zuteilgeworden ist. Vielleicht steckt ja derjenige, der ihr den Hinweis gegeben hat, hinter dem Mord. Sie hat eine ausgesprochene Gabe, die Leute gegen sich aufzubringen.«
»Stimmt. Aber die Sache mit der Ähnlichkeit ist sehr weit hergeholt.«
»Fragen schadet nicht.«
»Gut. Gehen Sie vorsichtig vor, sonst macht sie daraus noch ihre nächste Story.«
Es war schon nach zehn Uhr, als Kendall Shaw am Samstagabend, erschöpfter als sonst, die Stufen zu ihrer Hintertür hinaufstieg.
Normalerweise fühlte sie sich nach solchen Storys aufgekratzt, aber diesmal nicht. Whites Bemerkung vom Vormittag
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