Niemand hört dich schreien (German Edition)
sich sehnlichst ein Kind.«
»Das merkt man.« Nicole wandte sich zum Fenster. »Warum kann ich mich dann für keine entscheiden?«
»Es ist eine schwere Entscheidung, Nicole. Vielleicht die schwerste, die Sie je im Leben treffen müssen.«
»Ich bin wie gelähmt, Carnie. Ich war immer in der Lage, Entscheidungen zu treffen. Jetzt kann ich mich kaum mehr entscheiden, welche Schuhe ich anziehen soll, ganz zu schweigen davon, wer mein Kind großziehen soll.«
»Auch unter den besten Voraussetzungen ist so etwas schwierig. Und wenn einen dann noch all die Hormone durcheinanderbringen, ist es umso schwieriger. Machen Sie es sich nicht so schwer.«
»Haben Sie Kinder?«
Carnies Augen verdunkelten sich ein wenig. »Nein.« Sie seufzte. »Wie gesagt, ich bin adoptiert. Meine Vergangenheit ist ein großes Rätsel. Ein Kind zu bekommen, käme mir wie genetisches Roulette vor.« Sie versuchte sich an einem Lächeln. »Für meinen Mann und mich war das ein großes Problem. Er wollte viele Kinder. Wir haben uns schließlich scheiden lassen.«
Nicole tat der Rücken weh, und ihre Brüste fühlten sich wie Melonen an. »Das tut mir leid. Glauben Sie, mein Kind wird auch so fühlen?«
»Meine Adoption war inkognito. Ihre wird eine offene Adoption werden. Ihr Kind wird wissen, wie Sie zu finden sind. Meiner Einschätzung nach werden Sie ihr bereitwillig Informationen geben, wenn es so weit ist.«
Nicole strich sich über den Bauch. »Natürlich.«
Carnie sah Nicole forschend an. »Können Sie mir etwas über den Vater Ihres Babys erzählen?«
Nicole versteifte sich. Selbst jetzt noch wurde sie von Furcht erfasst, wenn sie über Richard sprach. Er war tot und konnte ihr nichts mehr tun. Aber ein irrationaler Teil ihres Gehirns flüsterte ihr zu, dass er irgendwie aus dem Grab steigen und ihr Schaden zufügen könnte. »Ich dachte, Sie hätten letzten Sommer die Zeitungen gelesen.«
»Das habe ich. Aber ich wollte es von Ihnen hören.«
Über ihre Furcht verärgert, streckte Nicole sich. »Als mein Mann Richard in mein Fotoatelier hineinschneite, war er der romantischste Mann, den ich bis dahin kennengelernt hatte. So charmant. So gut aussehend. So lustig.«
Sie sah auf ihren Daumennagel hinunter und betrachtete die ungepflegte Nagelhaut. Richard wäre fuchsteufelswild gewesen, wenn er sie jetzt hätte sehen können. Einen Augenblick lang schnürte die Furcht ihr die Kehle zu, und sie musste sich erneut ins Gedächtnis rufen, dass er tot und begraben war.
»Nach unserer Hochzeit wurde alles langsam anders. Er fing an, meine Telefonate und meine E-Mails zu überwachen. Manchmal kam er auf einmal zu mir, wenn ich arbeitete, und bestand darauf, dass ich mit ihm zu Mittag aß. Und dann fing er an, mich zu schlagen.«
Carnie fuhr mit dem Finger über den Rand ihrer Teetasse. »Das tut mir leid.«
»Mit der Zeit schlug er mich immer öfter. Beim letzten Mal war es am schlimmsten. Er …« Sie schwieg, immer noch unfähig, das Geschehen in Worte zu fassen. Die psychologische Beratung hatte wenigstens dafür gesorgt, dass sie das Wort aussprechen konnte. »Er hat mich vergewaltigt. Das Kind wurde dabei gezeugt.«
Carnies Gesicht war voller Trauer. »Ich kann mir kaum ausmalen, was Sie durchgemacht haben.«
»Ich bin dann hierher nach Richmond geflohen und bei meiner Freundin Lindsay eingezogen. Sie hat mich versteckt. Der Rest stand in der Zeitung. Richard hat uns gefunden. Lindsay hat er beinahe umgebracht.« Nicoles Herzschlag beschleunigte sich. Das Baby strampelte. »Und hier bin ich nun, unfähig, das Kind zu lieben, das in meinem Bauch heranwächst.«
»Sie können nicht sagen, dass sie dieses Baby nicht lieben. Sie bringen es zur Welt. Sie gehen zum Arzt und wollen das Beste für das Kind. Sie sind mütterlicher, als sie es sich eingestehen.«
»Warum will ich dann nur, dass diese verdammte Schwangerschaft vorbei ist? Ich will beruflich wieder durchstarten. Ich will mein Leben zurückhaben!«
Carnie lächelte. »Das ist ganz normal, Nicole. Meine Geschäftspartnerin ist mit dem Vierten schwanger, und sie ist kurz davor, die Wände hochzugehen. Sie redet nur noch davon, dass sie ihre Zehen wieder sehen und auf dem Bauch schlafen will.«
»Dann bin ich also normal?«
»Sie sind völlig normal.«
Der Druck auf Nicoles Brust schwand, und sie war in der Lage, einen Schluck Tee zu trinken. »Danke, Carnie.« Immer noch unschlüssig, schaute sie auf die Profile hinunter.
»Schlafen Sie darüber. Ein oder zwei Tage
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