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Niemand hört dich schreien (German Edition)

Niemand hört dich schreien (German Edition)

Titel: Niemand hört dich schreien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Burton
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mehr spielen keine Rolle.«
    Mit einem Mal fühlte Nicole sich etwas besser. »Danke«. Sie blickte auf die Uhr. »Ich muss los. Ich habe einen Fototermin mit einem Paar und seinem Hund. Alle drei tragen die gleichen roten Pullis.«
    Carnie lachte. »Okay.«
    Nicole nahm Mantel und Tasche und ging. Als sie aus der Eingangstür trat, schlug ihr die Kälte ins Gesicht. Sie stellte den Kragen hoch und angelte den Schlüsselbund aus der Jackentasche, eilte den Gehweg entlang und stieg in ihren Wagen. Vor ihrem Mund bildeten sich kleine Atemwölkchen. Sie steckte den Schlüssel ins Zündschloss und ließ den Motor an. Dann stellte sie die Heizung auf volle Leistung. Mehrere Minuten lang kam nur kalte Luft heraus. Ihre Zehen wurden taub. Sie schaute in den Rückspiegel. Jemand hatte etwas auf die Heckscheibe geschrieben. Die flüchtig hingekritzelten Buchstaben waren spiegelverkehrt und schwer zu entziffern. Sie stieg aus und ging schwerfällig um das Auto herum.
    In der Eisschicht stand »Hi«.
    Höchstwahrscheinlich hatte ein Kind es geschrieben. So ähnlich wie »Wasch mich« oder irgendein anderer Unsinn.
    Doch es erinnerte sie an etwas, was Richard früher getan hatte. Eine einfache Geste, in der niemand außer ihr eine Bedrohung erkannte. Auf diese Art hatte er sie wissen lassen, dass er sie beobachtete. Sie überwachte.
    Ein eiskalter Schauer kroch ihr über den Rücken. Sie starrte das Wörtchen an, bis die Heckscheibenheizung es wegschmolz.
    Allen saß an der kleinen Werkbank. Eine Deckenlampe schien auf das starke Vergrößerungsglas herab. Er rieb sich die trockenen Augen und betrachtete den winzigen ovalen Goldanhänger. Mit dem Gravierwerkzeug begann er, sorgfältig den ersten Buchstaben zu schreiben. Er fügte dem R einen Extraschnörkel hinzu und verwendete besondere Sorgfalt auf den Schwung am Fuß des Buchstabens. Seine Gravierkünste waren meisterhaft.
    Seine ersten Medaillons – ganz am Anfang, vor langer Zeit – waren unbeholfen und plump gewesen. Wie die eines Kindes. Aber damals war er in so vieler Hinsicht ein Kind gewesen. Er hatte Jahre gebraucht, um seine Künste zu verbessern. Er hatte begonnen, sich auf diesen Moment vorzubereiten, als er in Alaska war, diesem frostigen Land, in das er vor so langer Zeit vor seinen Dämonen geflohen war. Er hatte geglaubt, dass er dort oben ganz neu würde anfangen können. Aber die Dämonen waren ihm gefolgt.
    Die erste Frau in Anchorage, die seine Aufmerksamkeit erregte, hatte wallendes schwarzes Haar gehabt, so wie sie . Die Frau war Kellnerin gewesen. Die erste Ahnung des Winters war gekommen – Schnee auf den weit entfernten Bergen, die die Stadt an der Bucht umgaben. Es war windig gewesen, und die Luft war von einer Frische gewesen, wie er sie nie zuvor erlebt hatte.
    Für einen Moment war er mit angehaltenem Atem stehen geblieben und hatte sie beobachtet. Das Haar hatte ihn an die Frau erinnert, die er geliebt und verachtet hatte.
    Doch die Haut der Frau war weder glatt noch blass. Sie war dunkel und pockennarbig. Und die Frau roch nicht nach frischen Pfirsichen, sondern nach altem Käse.
    Aber ihr Haar hatte ihn in den Bann gezogen. Wegen des Haars hatte er so tun können, als wäre sie jemand anders.
    Nachdem er sein Essen bezahlt hatte, hatte er auf der anderen Straßenseite in der Kälte gewartet, bis ihre Schicht zu Ende war. Er hatte fast drei Stunden gewartet.
    Als sie in einen Parka gehüllt und mit einer Zigarette in der Hand herauskam, hatte er beobachtet, wie sie die Straße entlang zu einem Parkplatz ging, auf dem sie ihr Auto abgestellt hatte.
    Sie hatte gerade die Tür ihres zerbeulten VW Käfers aufgeschlossen, als sie ihn bemerkte. Er hatte gelächelt und die zitternden Hände in die Hosentaschen gesteckt.
    Bleiches Mondlicht war auf ihr Gesicht gefallen. »Wer sind Sie?«
    »Entschuldigung«, hatte er gesagt, sorgfältig darauf bedacht, entspannt zu bleiben. »Ich habe Sie im Restaurant gesehen. Wo Sie bedient haben. Ich dachte, Sie wären jemand, den ich kenne.«
    Sie hatte ihn misstrauisch beäugt. »Ich kenne Sie nicht.«
    Sein Blick war zu ihrem schlanken Hals gewandert. In der Halsgrube meinte er, ihren Pulsschlag zu sehen. »Ich heiße Jack.« Das war gelogen gewesen. Seinen wirklichen Namen hatte er damals schon lange nicht mehr benutzt. »Ich wollte Sie nicht erschrecken.«
    Allen hatte ganz locker dagestanden und den Blick gesenkt, bevor er ihn wieder gehoben hatte. Sie sollte möglichst entspannt sein, damit er näher an sie

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