Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)
mir eben noch geraten hatte, Widerstand zu leisten? Ich zog es vor zu schlafen.
Für den nächsten Abend waren wir beide ins Zimmer des Führers bestellt. Najah war ganz erregt bei dem Gedanken, ihn wiederzusehen. »Warum ziehst du nicht mal ein schwarzes Hemdchen an?«, schlug sie vor, bevor wir nach oben gingen.Als wir die Tür aufmachten, war er schon splitternackt, und Najah warf sich auf ihn: »Ach, Liebster! Wie sehr du mir gefehlt hast!« Das hat ihm gefallen. »Komm her, du Luder!« Wütend wandte er sich zu mir um: »Was soll diese Farbe, ich finde sie entsetzlich! Hau ab und zieh dich um!« Ich stürzte raus und die Treppe runter, auf halbem Wege begegnete ich Amal und schnorrte eine Zigarette von ihr. In meinem Zimmer angekommen, habe ich erst mal eine geraucht. Es war das erste Mal, dass ich es aus eigenem Antrieb tat. Das erste Mal, dass ich das Bedürfnis nach einer Zigarette verspürte. Salma ließ mir keine große Zeit dazu. »Was machst du hier? Dein Herr erwartet dich!« Sie brachte mich in sein Zimmer zurück in dem Moment, als Najah schon wieder pflichtbewusst die Videos abspielte. »Leg die Kassette ein und tanz!«, befahl mir Gaddafi. Aber dann sprang er vom Bett, riss mir das Hemd herunter und warf mich auf den Boden, um mich brutal zu penetrieren. »Nun geh!«, sagte er danach und entließ mich mit einer abwimmelnden Handbewegung. Mein Körper war voller Blutergüsse.
Als Najah ihrerseits zurückkehrte, habe ich sie gefragt, warum sie mir eine Farbe empfohlen hatte, die er hasste.
»Seltsam«, meinte sie und sah mich dabei nicht mal an, »normalerweise liebt er Schwarz. Vielleicht steht es dir nicht ... Aber ist es im Grunde nicht das, was du wolltest? Irgendwas, damit er sich von dir abwendet?« Da habe ich mich plötzlich gefragt, ob es unter den Mädchen von Gaddafi vielleicht so etwas wie Eifersucht gab. Was für eine Wahnsinnsidee! Sollten sie ihn bloß für sich behalten!
Am nächsten Morgen erwachte ich und hatte das Verlangen nach einer Zigarette. Ich ging zu Amal, die gerade mit einem anderen Mädchen Kaffee trank, und bat sie um eine.Sie nahm ihr Telefon und gab eine Bestellung auf: »Kannst du uns ein paar Schachteln Marlboro Lights und Slim-Zigaretten besorgen?« Ich konnte nicht glauben, dass es so einfach war! Es genügte, einen Fahrer anzurufen, der sie kaufen fuhr und anschließend in der Garage hinterlegte, wo ein Angestellter der Residenz sie abholte. »Rauchen ist aber nicht gut in deinem Alter«, sagte Amal. »Fang bloß nicht richtig damit an.«
»Aber ihr beide raucht doch auch! Und wir führen dasselbe Leben!«
Sie warf mir ein langes, trauriges Lächeln zu.
Der Ramadan rückte näher. Eines Morgens erfuhr ich, dass das ganze Haus nach Sirte reisen würde. Ich bekam wieder eine Uniform, es wurde mir ein Wagen im Konvoi zugewiesen, und für ein paar Sekunden spürte ich die wärmende Sonne auf meiner Haut. Seit Wochen war ich nicht aus diesem Kellergeschoss herausgekommen. Ich war so froh, wieder einmal ein Stück Himmel zu sehen! Bei unserer Ankunft in der Katiba al-Saadi kam Mabruka auf mich zu: »Du wolltest doch deine Mutter sehen, also, jetzt wirst du sie sehen.«
Mir blieb fast das Herz stehen. In jeder Minute seit meiner Entführung hatte ich an sie gedacht. Ich träumte davon, in ihren Armen zu versinken. Tag und Nacht stellte ich mir vor, was ich ihr sagen würde, verhakte mich in den Wörtern, fing meine Geschichte wieder von vorn an und versuchte mich zu beruhigen, indem ich mir sagte, dass sie schon verstehen würde, auch ohne dass ich ins Detail ging. O mein Gott! Meine Eltern wiedersehen, meine Brüder, meine kleine Schwester Nura ...
Der Wagen hielt gegenüber unserem blendend weißenWohnhaus. Das Trio vom Anfang – Mabruka, Salma und Faiza – begleitete mich bis vor den Eingang, und ich stürzte die Treppe hoch. Mama erwartete mich in unserer Wohnung im zweiten Stock. Die Kleinen waren in der Schule. Wir schluchzten alle beide, als wir uns in die Arme fielen. Sie küsste mich, betrachtete mich, lachte, schüttelte den Kopf, wischte ihre Tränen fort. »O Soraya! Du hast mir das Herz gebrochen. Erzähl! Erzähl!« Ich konnte es nicht. Ich verneinte mit einer Bewegung, presste mich an sie. Da sagte sie sanft: »Faiza hat mir gesagt, dass Gaddafi dich geöffnet hat. Mein süßes kleines Mädchen! Du bist doch noch viel zu jung, um eine Frau zu sein ...«
Faiza kam die Treppe herauf, ich hörte ihre laute Stimme: »Es reicht jetzt! Komm
Weitere Kostenlose Bücher