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Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Titel: Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annick Cojean
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wollte mein Zimmer nicht verlassen, wollte keinen Menschen sehen, aber sie ließ nicht locker, und so gingen wir in die Cafeteria. Es war Freitag, der Tag des Gebets. Man servierte uns einen Couscous. Ich sah eine Gruppe sehr junger Männer hereinkommen, lächelnd und ganz und gar entspannt. »Ist das die Neue?«, fragten sie Amal, als sie mich bemerkten. Sie nickte, worauf sie sich mir ausgesprochen höflich vorstellten: Jalal, Faisal, Abdul Haim, Ali, Adnan, Hussam. Dann wandten sie sich zum Zimmer des Führers. An diesem Tag bekam ich den zweiten Schock meines Lebens. Und mein Blick sollte für immer beschmutzt bleiben. Es fällt mir nicht leicht, Ihnen das zu erzählen. Ich zwinge mich dazu, weil ich mich nun einmal darauf eingelassen habe und weil Sie verstehen müssen, warum dieses Ungeheuer so vollkommen straflos bleiben konnte. Denn solche Szenen sind dermaßen brutal und peinlich zu beschreiben, so demütigend und beschämend für den Zeugen, den er damit in hinterhältiger Weise zum Komplizen machte, dass niemand das Risiko hätte eingehen können, von den Perversionen einesTypen zu berichten, der das Recht über Leben oder Tod eines jeden besaß und alle besudelt hat, die das Pech hatten, ihm nahe zu kommen.
    Mabruka rief mich: »Zieh dich an, dein Herr verlangt nach dir.« In ihrer Sprache bedeutete das: Zieh dich aus und geh rauf. Wieder stieß sie seine Tür auf, und meinen Augen bot sich ein grässliches Schauspiel. Der Führer, er war nackt, hatte den Jungen, der sich Ali nannte, von hinten bestiegen, während Hussam, geschminkt wie eine Frau, zu den Klängen des immergleichen schmalzigen Liedes tanzte. Ich wollte auf der Stelle kehrtmachen, aber Hussam schrie: »Meister, Soraya ist da!« und gab mir ein Zeichen, mit ihm zu tanzen. Ich war wie gelähmt. Da rief mich Gaddafi: »Komm her, du Schlampe.« Er schleuderte Ali zur Seite und riss mich an sich. Hussam tanzte, Ali sah zu, und zum zweiten Mal in diesen wenigen Tagen hätte ich sterben wollen. Niemand hatte das Recht, mir so etwas anzutun.
    Mabruka kam herein, sie befahl den Jungs zu gehen und dem Meister aufzuhören, denn er wurde dringend erwartet. Er zog sich sogleich zurück und sagte zu mir: »Los, verpiss dich!« Schluchzend rannte ich in mein Zimmer und blieb den ganzen Abend unter der Dusche stehen. Ich wusch mich, und ich weinte. Ich konnte überhaupt nicht mehr aufhören. Er war wahnsinnig, sie waren es alle, es war ein Irrenhaus, und ich wollte nicht dazugehören. Ich wollte meine Eltern, meine Brüder, meine Schwester, ich wollte mein Leben von vorher. Und das war nicht mehr möglich. Er hatte alles zerstört. Er war ekelhaft. Und er war der Präsident.
    Amal kam, nach mir zu sehen, und ich flehte sie an: »Ich bitte dich, sprich mit Mabruka. Ich kann einfach nicht mehr, ich will zu meiner Mutter ...« Zum ersten Mal sah ich sie erschüttert.»O meine liebe Kleine!«, sagte sie und nahm mich in die Arme. »Deine Geschichte gleicht so sehr der meinen. Auch mich haben sie aus der Schule weggeholt. Ich war vierzehn.« Heute war sie fünfundzwanzig, und ihr Leben widerte sie an.

4
Ramadan
    Eines Morgens erfuhr ich, dass Gaddafi und sein Tross zu einem offiziellen Staatsbesuch nach Dakar reisen würden und ich nicht zur Begleitung gehörte. Was für eine Erleichterung! Drei Tage lang konnte ich aufatmen und mich zwangslos zwischen meinem Zimmer und der Cafeteria bewegen, wo ich Amal und einige andere Mädchen wiedertraf, darunter Fathia, die zur Bewachung in Bab al-Aziziya zurückgeblieben waren. Sie rauchten, tranken Kaffee und schwatzten. Ich blieb schweigsam, aber horchte gespannt auf die kleinste Information über das Regelwerk dieser abartigen Gemeinschaft. Leider wurde nichts Wesentliches gesagt. Rein zufällig erfuhr ich nur, dass Amal tagsüber mit einem Chauffeur von Bab al-Aziziya in die Stadt rauskonnte! Das hat mich umgehauen. Sie war frei ... und kam zurück? Wie war das möglich? Warum floh sie nicht, wovon ich in jedem Augenblick träumte, seit ich in diesen Mauern eingeschlossen war? Es gab so viele Dinge, die ich nicht durchschaute.
    Ich entdeckte auch, dass die meisten Mädchen, die sich »Revolutionäre Garden« nannten, Inhaberinnen einer Karte waren, die ich für einen Anstecker hielt, die aber in Wirklichkeit ein regelrechtes Ausweisdokument war. Es war ihr Foto drauf, Name, Vorname und, stark hervorgehoben, der Titel»Tochter von Muammar al-Gaddafi« über der eigenhändigen Unterschrift des Führers und einem

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