Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Titel: Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annick Cojean
Vom Netzwerk:
und seines persönlichen kleinen Sportraums. Ich hörte Schritte und Türenschlagen über mir und begriff, dass nun Amal und andere Mädchen zum Zimmer des Führers strömten. An einem Tag des Ramadan! Als ich sie beim Abendessen traf, sagte ich ihnen, wie fassungslos ich wäre. Was wir taten, war doch sehr schlimm, nicht wahr? Da brachen sie in Lachen aus! Solange er keinen Orgasmus habe, hatte er ihnen erklärt, solange er nicht ejakuliere, zähle es vor Allah nicht ... Ich riss entsetzt die Augen auf. Sie lachten nur noch lauter. »Das ist eben Ramadan à la Gaddafi«, schloss eines der Mädchen.
    Den ganzen Ramadan-Monat über hat er mich in sein Zimmer bestellt, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Er rauchte, fickte mich, schlug mich unter Gebrüll. Und allmählich erlaubte ich mir auch, zu essen, ohne mich um die Uhrzeit zu scheren. Wozu Regeln beachten in einer Welt, die weder Rahmen noch Gesetz, noch Logik kannte? Am Ende habe ich mich sogar gefragt, warum meine Mutter solchen Wind um den Ramadan machte.
    In der siebenundzwanzigsten Nacht, die für uns »die Nacht des Schicksals« ist, wurden dem Propheten die ersten Suren des Korans offenbart. Oft ist sie der Anlass zu großen nächtlichen Festlichkeiten, und ich erfuhr, dass Gaddafi tatsächlicheine Menge hochgestellter Gäste in seinen Salons und einem angrenzenden Zelt empfangen würde. Mabruka rief uns alle zusammen, wir sollten Kuchen und Früchte auf Schalen anrichten und die Gäste bedienen. Ich trug einen schwarzen Jogginganzug mit einem roten Streifen an der Seite, und ich erinnere mich, dass ich meine Haare, die mir bis zur Taille reichten, an jenem Abend offen trug. Die Gäste trafen in Scharen ein, und die drei großen Salons füllten sich. Viele afrikanische Frauen von spektakulärer Schönheit, Herren in Schlips und Kragen, Militärs. Ich erkannte leider niemanden. Außer einen! Nuri al-Mismari, den Protokollchef mit den seltsam blonden Haaren, dem hellen Kinnbart und einem Glasauge hinter schmalen Brillengläsern. Ich kannte ihn aus dem Fernsehen – es war merkwürdig, ihn hier unter den Gästen herumschwirren zu sehen. Dann kam noch ein Mann, Saad al-Falah, der schien die Mädchen alle persönlich zu kennen und gab jeder von ihnen einen Umschlag mit 500 Dinar. Taschengeld, so sagte man mir. Ich hatte, als ich mehrmals seinem Blick begegnete, bemerkt, dass ich ihm aufgefallen war. Lächelnd kam er auf mich zu: »Ah, da ist ja die kleine Neue! Verdammt, die sieht aber auch wirklich süß aus!« Er lachte und kniff mich in die Wange, halb lüstern, halb väterlich. Mabruka war die Szene nicht entgangen, sie rief ihn augenblicklich zu sich: »Saad, komm mal her!« Amal, die neben mir stand, flüsterte mir ins Ohr: »Sie hat es gesehen! Geh schnell in dein Zimmer. Ich sage dir, du kriegst Ärger.«
    Ein wenig beunruhigt bin ich also gegangen. Eine oder zwei Stunden später stieß Mabruka die Tür zu meinem Zimmer auf. »Geh rauf!«
    Als ich in der Tür zu seinem Gemach auftauchte, hinter mir Mabruka, zog er sich gerade einen rotbraunen Jogginganzugüber und sah mich übellaunig an. »Komm rein, du Schlampe ... Es macht dir also Spaß, mit deinen Haaren die Männer anzumachen, ja? Du spielst die Schöne, die Verführerin? Aber warum sollte mich das wundern: Deine Mutter ist ja Tunesierin!«
    »Ich schwöre Ihnen, mein Gebieter, ich habe nichts getan!«
    »Du hast nichts getan, du Schlampe? Du wagst zu sagen, dass du nichts getan hast?«
    »Nichts! Was soll ich denn getan haben?«
    »Etwas, was du nicht noch einmal tun wirst, du verdammte Hure!«
    Darauf packte er mich mit energischem Griff bei den Haaren, zwang mich niederzuknien und wies Mabruka an: »Gib mir ein Messer!« Ich dachte, jetzt tötet er mich. Seine Augen waren die eines Wahnsinnigen, ich wusste, dass er zu allem fähig war. Mabruka reichte ihm eine Klinge, die er, meine Haare noch immer mit eisernem Griff in der anderen Hand, wütend und mit heftigen Hieben in die Masse hineinstieß, jeden Schnitt mit einem schaurigen Grunzen begleitend.
    »Du hast geglaubt, du könntest mit ihnen kokettieren, was? Aber damit ist es vorbei!« Ganze Büschel schwarzer Haare fielen neben mir auf den Boden. Er machte immer weiter, schnitt, säbelte. Dann drehte er sich plötzlich zu Mabruka um: »Bring es zu Ende!«
    Ich schluchzte, ich war wie traumatisiert, unfähig, das Zittern meines Körpers zu beherrschen. Jedes Mal, wenn die Klinge in meine Haare fuhr, glaubte ich, er schlitzt mir die Kehle auf oder

Weitere Kostenlose Bücher