Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)
runter!«
Mama klammerte sich an mich. »Lassen Sie mir mein Kind!«
Aber Faiza war schon da und blickte uns streng an.
»Möge Gott uns helfen«, sagte Mama. »Was soll ich nur deinen Brüdern sagen? Alle Welt fragt sich, wo du bist. Ich antworte, dass du nach Tunesien gereist bist, die Verwandten besuchen, oder nach Tripolis mit Papa. Allen erzähle ich Lügen. Was soll ich anderes machen, Soraya? Was wird aus dir werden?«
Faiza riss mich aus ihren Armen.
»Wann bringen Sie sie mir zurück?«, fragte Mama unter Tränen.
»Eines Tages!« Und schon ging es zurück in die Kaserne.
Fathia erwartete mich bereits. »Dein Herr verlangt dich.« Als ich wieder in dieses sandfarbene Zimmer trat, in dem er mich schon einige Wochen zuvor vergewaltigt hatte, traf ich dortGalina und vier weitere Ukrainerinnen an. Galina massierte Gaddafi, die anderen saßen drum herum. Ich blieb in der Nähe der Tür stehen, in meine Uniform geschnürt und noch ganz aufgewühlt von meinem Besuch bei Mama. Wie ekelte er mich an, dieses Ungeheuer, das sich für Gott hielt, nach Knoblauch und Schweiß stank und nur eines im Kopf hatte: ficken. Als die Schwestern gegangen waren, befahl er: »Zieh dich aus!« Ich hätte schreien mögen: ›Du armseliger Hund!‹, die Tür zuknallen und wegrennen, aber ich habe mich voller Verzweiflung gefügt. »Steig auf mich drauf! Du hast doch deine Lektionen gelernt, oder? Und iss nicht so viel! Du hast zugenommen, das mag ich nicht!« Am Ende tat er etwas, was er noch nie getan hatte. Er schleppte mich zu dem Whirlpool, ließ mich auf den Beckenrand steigen und urinierte auf mich.
Ich teilte mein Zimmer mit Farida, demselben Mädchen wie bei meinem ersten Aufenthalt in der Katiba. Sie lag auf dem Bett, sehr blass und mit Übelkeit. »Ich hab eine Hepatitis«, verkündete sie mir.
»Eine Hepatitis? Aber ich dachte, der Führer hat eine Phobie gegen Krankheiten!«
»Ja, aber es scheint, die ist nicht sexuell übertragbar.«
Übertragbar wodurch sonst? Ich bekam es mit der Angst zu tun. Schon am selben Abend ließ Gaddafi uns beide rufen. Er war nackt, sehr ungeduldig und hatte es gleich auf Farida abgesehen: »Komm her, du Schlampe.« – »Dann kann ich gehen?«, fragte ich hoffnungsvoll. Er warf mir einen Blick zu wie ein Irrer: »Du tanzt!« Ich sagte mir: Er fickt eine Kranke, danach wird er mich ficken. Was er auch getan hat, während nun Farida tanzen musste.
Wir blieben drei Tage in Sirte. Er hat mich viele Male rufen lassen. Manchmal waren wir zu zweit, zu dritt, zu viert. Wir sprachen nicht miteinander. Jedes Mädchen hatte seine eigene Geschichte. Und jedes sein Leid.
Endlich kam der Ramadan. Für meine Familie war das immer eine geheiligte Zeit gewesen, die meine Mutter mit großer Strenge beachtete. Es kam nicht in Frage, dass wir zwischen Sonnenaufgang und -untergang irgendetwas aßen, und abends dann gab es köstliche Dinge. Wir dachten den ganzen Tag daran, bevor die Familie sich wieder zusammenfand. Manchmal war Mama mit uns sogar nach Marokko und Tunesien gefahren, damit wir diesen Augenblick gemeinsam mit unserer und auch ihrer Großmutter erleben konnten. Das war wirklich immer sehr schön. Seit meinem dritten Lebensjahr hatte ich den Ramadan nie versäumt und mir auch nie vorgestellt, dass man seine Regeln verletzen könnte.
Doch in der Nacht davor, in der man sich üblicherweise gedanklich darauf einstimmt, dass man nun in diesen geheiligten Zeitabschnitt eintritt, und Sinne und Begierden zum Schweigen bringen soll, hat Gaddafi sich besonders heftig auf mich gestürzt. Es hat Stunden gedauert, und ich war tief verletzt.
»Das ist verboten, es ist Ramadan!«, flehte ich am frühen Morgen. Außer um Befehle zu erteilen und Beschimpfungen loszuwerden, richtete er nie das Wort an mich. Diesmal immerhin geruhte er mir zwischen zwei Brunstschreien zu erwidern: »Nur essen ist verboten.« Es erschien mir wie eine Gotteslästerung.
Er respektierte also nichts. Nicht einmal Gott! Er brach alle seine Gebote. Er forderte ihn heraus. Aufgewühlt bin ich inmein Zimmer hinuntergegangen. Ich musste schnell mit jemandem reden, mit Amal oder einem anderen Mädchen. Ich stand regelrecht unter Schock. Aber ich fand niemanden. In den Korridoren und dem von Neonleuchten erhellten Labyrinth des Untergeschosses herumzulaufen war mir verboten. Mein Aktionsradius war streng eingegrenzt: mein Zimmer, sein Zimmer, die Küche, die Cafeteria, allenfalls noch die Empfangssalons in der Nähe seines Büros
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