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Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Titel: Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annick Cojean
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den Blicken der Familie hervorrief. So weit war es mit Soraya gekommen.
    Ich blieb über Nacht bei Inas. Eine Verschnaufpause. Eine kleine Rückkehr in die Kindheit. Und wie wohltuend! Amal G. muss vor Wut und Sorge ausgerastet sein. Ich hatte keinen ihrer vielen Anrufe angenommen. Als ich am nächsten Morgen schließlich abnahm, brüllte sie mich an.
    »Wie konntest du aus dem Haus gehen, ohne mir Bescheid zu sagen?«
    »Ich brauchte mal ein bisschen frische Luft, kannst du das nicht verstehen? Bei dir fühle ich mich wie in einem neuen Gefängnis. Danke, dass du mich aus Bab al-Aziziya herausgeholt hast, aber jetzt lass mich mal ein wenig durchatmen.«
    Sie keifte weiter, ich fing an zu heulen, da griff Inas sich das Telefon. »Ich bin ihre Freundin, wir kennen uns von klein auf, meine Familie wacht über sie, Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.« Aber Amal G. ließ nicht locker. Ich brächte mich in eine dramatische Situation, deren Konsequenzen ich nicht einschätzen könne, sagte sie. So gab Inas ihr schließlich ihre Adresse. »Ich komme!« Genau das hatte ich befürchtet. Der einzige Zufluchtsort, der mir blieb, auf den niemand in Bab al-Aziziya je gekommen wäre, war damit bekannt. Ich fühlte mich verfolgt. Und dann rief ich Hicham an. »Bitte, komm mich holen. Ich will niemand anders mehr sehen als dich.«
    Wenige Minuten später war er da. Er hat mich quasi entführt. Der Wagen raste durch die Straßen von Tripolis, dann durch die Vorstädte Richtung Land. Er saß an sein Steuer gekrallt,die Straße fest im Blick. Ich betrachtete ihn im Profil, ich hatte den Kopf zurückgelehnt und war entspannt wie seit Ewigkeiten nicht mehr. Ich dachte nicht nach, ich hatte keinen Plan, ich lächelte und vertraute einfach diesem Mann, den ich erst zum dritten Mal sah. Ich hatte mich nicht geirrt. Er hatte Kraft. Und Elan. Er fuhr mich in einen kleinen Ferienbungalow. »Ruh dich aus«, sagte er. »Ich kenne deine Geschichte. Von jetzt an wird niemand mehr dir ein Leid antun.« Amal G. hatte ihn ohne mein Wissen aufgesucht, um ihn über meine Beziehung zu Bab al-Aziziya aufzuklären und ihn zu warnen: »Das ist kein Mädchen für dich.« Da meldete sie sich auch schon wieder auf meinem Telefon. Sie hatte es bereits ein Dutzend Mal versucht.
    »Geh ran«, sagte Hicham zu mir. »Du brauchst keine Angst mehr vor ihr zu haben. Sag ihr die Wahrheit.«
    Zitternd nahm ich den Anruf entgegen. »Du bist wahnsinnig, Soraya!«, stieß Amal hervor. »Du willst wirklich Ärger haben. Wie konntest du es wagen zu fliehen, während ich auf dem Weg zu dir war?«
    »Lass mich! Ich bin weit weg. Im Haus einer Freundin.«
    »Du lügst! Ich weiß, dass du bei Hicham bist!«
    Da habe ich aufgelegt. Hicham nahm mir das Telefon aus der Hand und rief sie zurück. »Lasst sie in Frieden. Vergesst sie. Ihr habt ihr schon genug Leid angetan. Von jetzt an beschütze ich sie. Und ich wäre fähig zu töten, wenn man ihr zu schaden versucht.«
    »Du kennst mich nicht, Hicham. Das wirst du mir sehr teuer bezahlen. Ich werde dich in den Knast bringen!«
    Drei Tage lang war ich glücklich. Die ersten vierundzwanzig Stunden habe ich nur geheult, aber ich glaube, ich vergoss einfachdas Zuviel an Tränen, das sich seit fünf Jahren in mir angestaut hatte. Hicham war geduldig, sanft, beruhigend. Er bereitete mir zu essen, machte sauber, trocknete meine Tränen. Ich war nicht mehr allein. Vielleicht gab es doch noch ein Leben nach Bab al-Aziziya. Aber die Nachricht von meiner Flucht war im Hause Gaddafi wie eine Bombe eingeschlagen.
    Amal G. hatte Inas mit zu meiner Mutter genommen, die mich gleich danach anrief: »Ich bin tief bestürzt, Soraya. Seit zwei Monaten lügst du mich an! Wie ist das möglich? Du bist in der Stadt, du rauchst, du fährst mit einem Mann weg. Was ist aus dir geworden, kleine Soraya? Eine Herumtreiberin! Eine Hure! Lieber wüsste ich dich tot, als mir vorzustellen, dass du ein lasterhaftes Leben führst. Oh, wie sehr du mich enttäuschst!«
    Ich war getroffen. Aller Anschein sprach gegen mich. Aber warum sah sie nicht, dass ich einfach versuchte zu überleben? Noch einmal rief Amal G. an: »Was auch immer du tust, du wirst wieder in Bab al-Aziziya landen.« Leute von der Inneren Sicherheit fuhren in zwei Landrovern bei Hichams Eltern vor: »Wo ist Ihr Sohn? Er soll das Mädchen zurückbringen, das er entführt hat.« Seine Brüder riefen ihn in Panik an. Nach drei Tagen haben wir die Waffen gestreckt.
    Ich ging zu Amal G. zurück,

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