Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)
Anzug, den ich nicht an ihm kannte, darüber eine schwarze Lederjacke. Eine rauchfarbene Sonnenbrille vervollständigte seinen Gangsterlook. Rasch schlüpfte ich in eine Jeans, zog eine Hemdbluse drüber und hüllte mich in einen schwarzen Schleier, selbstverständlich auch ich mit einer großen Sonnenbrille, hinter der mein Gesicht verschwand. Ich rief Mama in Sirte an, um ihr auf Wiedersehen zu sagen. Der Abschied war kurz und kühl. Dann fuhren wir mit dem Taxi zum Flughafen. Papa warf mir gereizte Blicke zu. »Was hast du, Soraya? Es scheint dir scheißegal zu sein!« O nein, das war es durchaus nicht. Aber ich blieb ruhig. Was konnte mir Schlimmeres passieren als das, was ich schon erlebte hatte? Getötet zu werden? Im Grunde wäre das eine Erleichterung gewesen.
Auf dem Flughafen blieb Papa die ganze Zeit auf der Lauer. Er sah auf seine Uhr, fuhr zusammen, sobald jemand ihn streifte, ich fürchtete, das Herz bliebe ihm stehen. Er hatte einen Freund gebeten, es so einzurichten, dass mein Name nicht auf der Passagierliste erschien, nicht mal meine Initialen. Er vergewisserte sich dessen noch einmal. Als wir die Sicherheitskontrolle passierten, und auch danach im Warteraum, warf er verstohlene Blicke um sich, in jedem allein reisenden Passagier vermutete er einen Gaddafi-Spitzel. Er befand sich in einem Spionagefilm. Als wir dann im Flugzeug saßen, überwachte er bis zum Augenblick des Starts die Tür, unfähig, auch nur ein Wort zu sprechen. Er bekam keine Luft, sein Mund war trocken. Und bis zur Zwischenlandung inRom blieben seine Hände um die Armlehnen geklammert. Als wenn ein Befehl des Führers das Flugzeug noch immer zum Umkehren zwingen könnte. Erst bei der Landung lachte er. Das erste Mal seit vielen Jahren, wie er mir gestand.
Er hatte einen Transit-Flug über Rom gewählt, um unsere Spuren zu verwischen. Wir hatten ein paar Stunden Aufenthalt, ich ging zu den Toiletten, um meinen schwarzen Schleier abzulegen, mir etwas Lidstrich in die Augenwinkel zu zeichnen, rosa Lipgloss aufzutragen und mich ein wenig zu parfümieren. Wir flogen ja nach Paris, in die Stadt der Schönheit und der Mode. Mit meinem erbärmlichen Leben war es vorbei. Zumindest glaubte ich das.
9
Paris
Ich träumte davon, den Eiffelturm zu sehen, aber wir nahmen den RER in Richtung der Banlieue Kremlin-Bicêtre. Ich stellte mir etwas Exotisches vor und fand mich in einem Araberviertel wieder. »Ist das Frankreich?«, fragte ich meinen Vater, während wir unterwegs waren zu einem Kettenrestaurant für Halal-Hähnchen, wo wir einen seiner Freunde treffen wollten. Ich war enttäuscht. Es herrschte eine Polarkälte, ich hatte Eisfüße und eine blaugefrorene Nasenspitze, alles kam mir hässlich vor. »Morgen wird es schöner werden«, sagte Papa aufmunternd zu mir. Wir übernachteten in einem kleinen Hotel in der Nähe der Porte d’Italie, mit Blick auf die Stadtautobahn. Und ich erwachte mit dem Bedürfnis nach einer Zigarette – ich war schnell süchtig danach geworden.
Wir hatten uns mit seinem Freund Habib in einem nahegelegenenCafé verabredet. Draußen auf der Terrasse saßen Mädchen und rauchten – völlig entspannt, ganz normal. Das gab mir Hoffnung. Es war also weder ein Makel noch ein Laster, wie man mir einreden wollte. Ich bestellte eine heiße Schokolade, Papa einen Kaffee, und noch bevor man uns beides brachte, ging er vor die Tür, um eine zu rauchen. Es kam nicht in Frage, dass ich ihn begleitete, das hätte er nicht gestattet. Also bin ich schnell zur Toilette gerannt, eine Marlboro rauchen, wovon ich heimlich eine Schachtel bei mir trug. Habib kam und lud uns zu sich nach Hause ein, an der Porte de Choisy. In dem Moment rief Mama an. Saddaik, ein Chauffeur aus Bab al-Aziziya, war in der Wohnung in Tripolis erschienen: »Wo ist Soraya? Warum meldet sie sich nicht auf ihrem Telefon?« Weil sie in Sirte ist, hatte man ihm geantwortet. Er hatte sich mit dieser Auskunft zufrieden gegeben, aber Mama war sehr beunruhigt, und mein Vater begann zu zittern. Er wurde aschfahl, verfiel in einen Schockzustand. Zu viele Aufregungen. Er brach vor Habib zusammen. Man brachte ihn ins Krankenhaus. Noch in der Nacht kam er zurück, fest entschlossen, auf der Stelle nach Tripolis zurückzufliegen. Er gab mir 1000 Euro, was mir wie ein Vermögen vorkam, eine französische Telefonkarte, und bat Habib, mir ein Zimmer zu mieten. Dann sind sie beide zum Flughafen gefahren. Er hat mich nicht einmal mehr umarmt, sich nur mit einem kleinen
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