Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Titel: Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annick Cojean
Vom Netzwerk:
und plötzlich drängte ein Dutzend Polizisten in den Raum. Ich geriet in Panik. Ein internationaler Haftbefehl von Gaddafi? Warda hatte mir eingeschärft: »Sieh vor allem zu, dass du nicht in eine Kontrolle gerätst!« Ich konnte aber nicht fliehen, sie kamen schon auf mich zu. Zitternd reichte ich ihnen meinen Pass. Ein Polizist marokkanischer Herkunft sah mich lächelnd an: »Warum hast du solche Angst? Du hast ein gültiges Visum, es ist alles in Ordnung!« Ich war wie gelähmt, unfähig, auch nur ein Wort herauszubringen. Mit einem anzüglichen Augenzwinkern schob er mir seine Handynummer zu. Es hat mich angewidert.
    Eine Gruppe junger Mädchen kam herein. Elegant, selbstbewusst. Sie arbeiteten sicher zusammen in einem Büro. Fasziniert folgte ich ihnen mit dem Blick. Das musste man ihnen lassen, sie hatten Klasse, diese Französinnen! Sie machten sich schön und kleideten sich mit Stil, gingen in Cafés und rauchten, hatten ebenso wichtige Jobs wie die Männer ... Aber plötzlich stand eine von ihnen vor mir und keifte: »Was starrst du mich so an? Hast du ein Problem?« Dieser Satz wird mir für immer im Gedächtnis bleiben, obwohl ich ihn nicht gleich verstand. Doch es sprach so viel Verachtung und Hass aus ihrem Gesicht! Warum beschimpfte sie mich? Ich hattesie doch nur bewundert, und wenn ich so jämmerlich aussah, dann weil ich nicht geschlafen hatte.
    Der Mann an der Bar war sehr freundlich. Auch er sprach Arabisch. »Ich muss Französisch lernen«, sagte ich zu ihm. »Das ist das Allerwichtigste!« Er riet mir, zur Alliance française an der Tour Montparnasse zu gehen, und schrieb mir die Adresse auf einen Zettel. Ich nahm mit meinem Koffer die Metro, stieg unter dem Turm aus, aber ich verlief mich und stellte überrascht fest, dass in diesem Viertel niemand Arabisch sprach. Ich setzte mich in ein Café, und wen sah ich? Habib! Er arbeitete hier in der Gegend. »Warum gehst du nicht ans Telefon, Soraya? Ich habe mich zu Tode geängstigt!«
    »Sprich nie mehr meinen Namen aus. Lass mich in Frieden, oder ich rufe Papa an!«
    Er nahm einen Stuhl und setzte sich vor mich hin. »Nun beruhige dich mal! Ich werde dir helfen. Ich werde eine Arbeit für dich finden und dir eine Aufenthaltsgenehmigung besorgen.«
    »Hau ab! Oder vielmehr, bring mich zur Adresse der Alliance française.«
    Es war ganz in der Nähe. Drinnen in den Büros drängte sich eine Gruppe von Algerierinnen. Sie diskutierten über die Preise und empfahlen mir die Stadtviertel, wo die Kurse gratis waren. Eine von ihnen bot mir sogar an, mich mit dem Auto zum Rathaus des 6. Arrondissements zu fahren. Der Warteraum war voller Araber und Afrikaner.
    »Sie haben Glück«, sagte ein Lehrer zu mir. »Ein Kurs hat gerade erst begonnen. Gehen Sie da schnell mit rein!« Vorn stand eine Frau und ließ ihre Klasse die Buchstaben des Alphabets nachsprechen, die sie auf die Tafel geschrieben hatte. A-B-C-D-E ... Ich kannte die Buchstaben schon aus dem Schulunterrichtin Sirte. Wenn ich ganz von vorn anfangen musste, würde ich Monate brauchen, und es half mir noch längst nicht dabei, im Alltag klarzukommen! Wie entmutigend!
    In dem Moment rief Warda an. Ich sagte ihr, dass ich auf der Straße säße. »Du kannst bei mir wohnen!«, rief sie spontan. »Ich wohne allein mit meinem kleinen Jungen.« Und so kam es, dass ich fürs Erste ein Dach über dem Kopf hatte (an der Porte de Montreuil), außerdem eine Freundin (mit leichtem Hang zum Animiermädchen) und ein (Arabisch sprechendes) Umfeld. Das gab mir Sicherheit für den Anfang. Und sollte letztendlich mein Verderben sein.
    Gleich am ersten Abend wollte sie mit mir ins La Marquise gehen. Zunächst habe ich abgelehnt, aber ich hatte Angst, sie würde mich wieder vor die Tür setzen – also ging ich mit. Sie stellte mir einen eleganten und sehr netten Tunesier vor, Adel, der sich sofort in mich verknallte. Ich sagte ihm gleich, dass ich einen anderen liebte und ihm treu bleiben würde. Er überstürzte nichts, er blieb sehr sanft, ganz und gar Gentleman. Er begnügte sich damit, so oft wie möglich ins La Marquise zu kommen und uns zum Essen und Trinken einzuladen. Warda und ihre Freunde konsumierten eine Menge Alkohol. Ich nahm meist Fruchtsaft. Ich hatte Hicham beim Koran schwören müssen, niemals mehr einen Tropfen Alkohol anzurühren. Und so habe ich die ersten drei Monate meines Pariser Aufenthalts zugebracht.
    Dann war mein Visum abgelaufen. Und die Angst kehrte wieder. Nun musste ich überall auf

Weitere Kostenlose Bücher