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Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Titel: Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annick Cojean
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der Hut sein, meinen Pass ließ ich in meinem Zimmer, ich wollte kein Risiko eingehen. Ins La Marquise zu gehen kam nicht mehr in Frage, sagte ich Warda. Aber sie lachte nur. »Mein Gott! Alle Mädchen indem Laden sind in der gleichen Situation! Die Bullen haben es doch vor allem auf die Jungs und auf Penner abgesehen. Doch nicht auf dich!«
    Auch das Geld wurde knapp. Und das Verhältnis zu Warda verschlechterte sich zusehends. Es ging sogar so weit, dass sie mir verbot, die Vorräte im Kühlschrank anzurühren. »Die sind für meinen Sohn!« Ich rief Papa um Hilfe an. »Aber wofür gibst du bloß dein Geld aus? Finde eine Arbeit, Soraya! Geh Teller waschen, wenn’s sein muss!« Das verletzte mich. »Oh, wenn du willst«, erwiderte ich, »kann ich auch gleich nach Bab al-Aziziya zurückgehen! Kein Problem!« Er schickte mir 500 Euro. Nicht mehr. Nach einem Einkauf mit Warda bei Carrefour blieben mir davon noch ganze 100.
    Schließlich bot Adel mir an, mich aufzunehmen. Er hatte eine große Wohnung, ich könnte dort mein eigenes Zimmer haben, wir würden ganz kameradschaftlich zusammen wohnen. »Super«, sagte Warda. »Das ist die ideale Lösung.« Was im Grunde hieß: »Mach, dass du wegkommst!«
    So habe ich sechs Monate in Bagneux in der Pariser Peripherie gelebt. Sechs Monate in relativer Ruhe, denn Adel, der ein kleines Bauunternehmen leitete, bemühte sich, ein angenehmer und respektvoller Freund zu sein. Morgens ging er zur Arbeit aus dem Haus und ließ mir 50 Euro da, von denen ich mich ernähren und die Einkäufe erledigen konnte. Er wusste, dass ich einen anderen liebte, ich wusste, dass ihm das weh tat, dennoch lebten wir harmonisch miteinander. Ich vertraute ihm. Und als ich ihm mein Drama von Bab al-Aziziya erzählte, glaubte er mir auf der Stelle. Er hatte libysche Freunde, die ihm schon von den Entführungen junger Mädchen aus den Schulen erzählt hatten. Warda hingegen hatte meine Geschichteempört zurückgewiesen. Warum war ich auch so blöd gewesen, sie ihr überhaupt anzuvertrauen! Sie verteidigte Gaddafi mit der Inbrunst einer Gläubigen, und das machte mich krank. »Er ist die Ehre der Araber, der Einzige, der das Haupt erhebt und unsere Fackel hochhält! Er ist ein Führer im wahrsten, im ruhmreichen Sinne, und ein Führer könnte nicht so niederträchtig handeln. Es ist abscheulich, dass du dich auf seine Kosten interessant machen willst!« Es war unerträglich anzuhören.
    Eines Nachts dann, wir kehrten von seiner Geburtstagsfeier im Restaurant Mazazic, an der Place de la Nation, zurück, kam Adel doch in mein Zimmer und bedrängte mich sehr. Und ich gab nach. Er war so aufrichtig und so anrührend. Seinen Freunden hatte er sogar offenbart, dass er mich heiraten wolle. Glaubte ich jedenfalls. Aber ich blieb entschlossen: Ich war nicht frei, mein Freund würde zu mir kommen, sobald er seinen Pass hätte, vielleicht schon in ein paar Wochen. Von da an begann die Eifersucht in Adel zu bohren. Und eines Tages, ich stand gerade unter der Dusche, ging er an mein Telefon, als Hicham anrief. Der Ton wurde sehr schnell laut, dann schrien sie sich an. Als ich entsetzt hinzustürzte, legte Adel fluchend auf: »Hurensohn!« Ich habe ihm diesen Verrat sehr übelgenommen. Mit welchem Recht nahm er einen Anruf entgegen, der mir galt? Ich rief Hicham zurück, der nichts mehr von mir hören wollte. Da bin ich ausgerastet. Die Situation hatte ohnehin schon zu lange gedauert. Ich musste hier weg. Und eine Arbeit finden.
    Ein Ägypter, den ich in dem tunesischen Lebensmittelladen des Viertels kennengelernt hatte, stellte mich Manar vor, einer Marokkanerin, die in einer von einem Kabylen betriebenen Restaurant-Bar in einer kleinen Straße in Montreuil arbeitete. Man zeigte mir, wie man Kaffee zubereitete und Biervom Hahn zapfte. Ich verdiente 50 Euro am Tag, plus Trinkgeld, das bis zu 100 Euro ausmachen konnte! Das war okay. Umso mehr, als man mir anbot, mir das über der Bar liegende Zimmer mit der Marokkanerin zu teilen. Ich habe eineinhalb Monate dort gearbeitet, als ich mitkriegte, dass der Laden ziemlich dubios war – der Chef zog manchmal die Vorhänge zu, und Frauen traten auf, die nackt tanzten – und vor allem, dass meine Mitbewohnerin mich bestahl, was mich wahnsinnig machte. Ich bin weg mit dem, was ich auf dem Leib hatte. Warda, mit der ich in Verbindung geblieben war, reichte mich weiter an eine Tunesierin, die in einer Bar an der Porte des Lilas arbeitete. Ich begann in der Küche mit

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