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Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Titel: Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annick Cojean
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Geschirrspülen, dann lernte ich auch zu servieren und Bestellungen entgegenzunehmen. Der kabylische Geschäftsführer bemerkte, dass manche Gäste meinetwegen kamen, und wies mich an, vorn im Restaurant zu bleiben. Worüber die Tunesierin sauer war. Er benutzte mich als Köder, sie hielt mich für ihr Mädchen für alles. Als ich außerdem eines Abends entdeckte, dass ich auch von meiner neuen marokkanischen Zimmer-Mitbewohnerin wieder bestohlen wurde, nahm ich meinen Koffer und schlug die Tür hinter mir zu.
    Von neuem stand ich auf der Straße und wusste nicht mehr, wen ich noch anrufen sollte. Mir kam der Ägypter in den Sinn. Er empfing mich in einer großen Wohnung, die er sich mit mehreren Leuten teilte. Er verlangte nichts von mir, aber ich fühlte mich nicht wohl. Ich war eine Bürde. Wo lag überhaupt noch eine Zukunft für mich? Worauf konnte ich in Paris hoffen? Ich hatte kein Französisch gelernt. Meine Papiere waren nicht in Ordnung, ich konnte jeden Augenblick verhaftet werden. Ich hatte mir nichts aufgebaut. Da rief Hichaman. Seinen Namen auf meinem Display zu lesen war wie ein kleiner Hoffnungsschimmer. Er dachte an mich genau in dem Moment, als ich im Begriff war, unterzugehen.
    »Wann kommst du?«, fragte ich. »Ich brauche dich so sehr!«
    »Niemals, hörst du? Niemals! Du warst ja nicht mal in der Lage, mir treu zu bleiben!«
    Niedergeschmettert rief ich meine Mutter an: »Es ist alles deine Schuld! Mein Leben ist eine Katastrophe. Ich bin hoffnungslos verloren, Mama. Verloren! Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll, wem ich vertrauen kann, wohin ich gehen soll. Ich bin am Ende. Und alles deinetwegen.«
    »Wieso meinetwegen?«
    »Ich wäre nicht weggegangen, wenn du Hicham akzeptiert hättest!«
    »Sag so was Dummes nicht, Soraya! Komm nach Hause. Frankreich ist nicht das Richtige für dich. Komm zu uns zurück.«
    Der Gedanke, nach Libyen zurückzukehren, hatte mich noch nicht einmal gestreift. Zurückgehen? Aber ich war doch keine Touristin! Nicht mal eine freiwillig ins Exil Gegangene! Ich war auf der Flucht und wurde von einem der mächtigsten Männer der Welt gesucht! Ich mochte meine Erbitterung noch so sehr über meine Mutter ausschütten, der wahre Grund meiner Flucht war Gaddafi.
    »Zurückzukehren wäre mehr als riskant, Mama! Sie werden mich wieder holen kommen. Sie werden mich niemals in Ruhe lassen.«
    »Wir werden es schon schaffen, dich zu verstecken. Dein Vater hat Ärger bekommen, darum wirst du bei mir in Sirte leben. In der ersten Zeit haben sie dich überall gesucht, abernun, glaube ich, haben sie sich beruhigt. Ich will nicht, dass du unglücklich bist in Paris.«
    So fiel meine Entscheidung. Innerhalb von Sekunden. Im Affekt und in einem Augenblick großer Verzweiflung. Ich kam in Frankreich nicht zurecht, das Land faszinierte mich, aber es entsprach mir nicht. Ich kannte keinen einzigen Franzosen! Ich ging zu Warda, die meinen Entschluss begrüßte. Aber sie warnte mich: Da mein Visum abgelaufen war, würde ich bei der Ausreise eine erhebliche Ordnungsstrafe zahlen müssen. Um mir das Verfahren zu erleichtern, rief sie selbst einen Bekannten an, der in Roissy-Charles-de-Gaulle als Polizist arbeitete. Er sollte drei Tage später am Flughafen die 1500 Euro in die Tasche stecken, die ich bereithielt, um ein Wiedereinreiseverbot in französisches Territorium zu umgehen. Zumindest habe ich es so verstanden. Ein Glück, dass Mama mir tags zuvor 2000 Euro geschickt hatte.
    Am 26. Mai 2010 bin ich nach Libyen zurückgeflogen, mit einem superleichten Koffer. Wenige Kleidungsstücke, kein Buch, nicht mal ein Foto – nichts ist mir von diesem fünfzehnmonatigen Aufenthalt in der Lichterstadt geblieben. Nicht mal das kleine Porträt, das ein Straßenkünstler an einem Frühlingstag unter dem Eiffelturm von mir gezeichnet hatte – Adel wollte es zur Erinnerung behalten.

10
Im Räderwerk
    Niemand erwartete mich am Flughafen in Tripolis. Ich hatte mich sehr gehütet, irgendjemanden zu verständigen. Kein bekanntes Gesicht in der großen Empfangshalle. Kein argwöhnischerBlick – weder von Soldaten noch von Polizisten. Ich kam inkognito zurück. Vielleicht hatte Bab al-Aziziya die Überwachung gelockert.
    Ich rief Hicham an. Er war verblüfft. »Du bist hier? In Libyen? ... Bleib, wo du bist, ich komme!« Mit zwei Freunden kam er in einem Geländewagen angerast. Lächelnd stieg er aus, nahm meinen kleinen Koffer. Eine stürmische Begrüßung und Umarmung in der Öffentlichkeit kamen

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