Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)
großer Schönheit ist. Gibt er selbst die Anweisung? Ist es Mabrukas Idee? Jedenfalls erscheinen eines Nachmittags drei seiner Wachen in der Wohnung des Generals, um seiner Frau eine Einladung zu einem Damenempfang zu überbringen, den Safia Farkash, Gaddafis Ehefrau, am selben Abend gibt. Der General ist misstrauisch. Er hat von einer solchen Veranstaltung nichts gehört, und die Vorstellung, dass seine Frau nach Bab al-Aziziya fährt, gefällt ihm gar nicht. Einer der Wachmänner wählt daraufhin eine Nummer auf seinem Handy und reicht ihm den Apparat. Mabruka ist dran. »Es ist eine außerordentliche Ehre, die der Führer dir damit erweist! Und der Beweis, dass er dich zu den ihm besonders nahestehenden Personen zählt und als wahren Revolutionär betrachtet. Es wird ein sehr schönes Fest werden, nur unter Ehefrauen.« Der General ist beruhigt und lässt seine Frau mitgehen. Als sie ein paar Stunden später zurückkommt, ist etwas Sonderbares in ihrem Wesen, und sie antwortet ausweichend auf Fragen. »Irgendetwas in meiner Mutter schien zerbrochen«, erzählt ihre Tochter. Weitere Einladungen folgen, vor allem wenn der General abwesend ist. Nach einigen Monaten kommt seine Frau eines Tages mit den Schlüsseln einer schönen Wohnung nach Hause. Ein »Geschenk« von der Gemahlin des Führers, so verkündet sie und erklärt, dass sie inzwischen zu deren engsten Freundinnen gehöre. Die Familie zieht um, ihre Lebensbedingungen verbessern sich beträchtlich. Es ist angenehm, in Bab al-Aziziya gut angeschrieben zu sein. Doch an einem Abend steht Mabruka mit zwei anderen Frauen vor der Tür und überbringt diesmal eine Einladungvon Aisha, der ältesten Tochter Gaddafis, an die Tochter des Generals. Ihre Mutter erstarrt, entsetzt schlägt sie die Hände vors Gesicht. Ihre Tochter ist entzückt. »Für heute Abend? Aber mit Vergnügen! Das einzige Problem ist, ich habe kein Abendkleid!«
»Das hatte ich geahnt!«, sagt Mabruka lächelnd, dreht sich um und zeigt auf einen Koffer. »Darin findest du alles, was du brauchst, um dich hübsch zu machen!«
Beschwingt streift das junge Mädchen das Kleid über, schminkt sich und folgt Mabruka, obwohl sie nicht versteht, warum ihre Mutter sich mit Tränen in den Augen von ihr verabschiedet. Selbst der General scheint entsetzt. Und er wird es noch mehr sein, als seine Frau ihm weinend gesteht, dass sich hinter den Einladungen von Safia Vorladungen zum Führer verbargen. Dass das Geld, die Geschenke, die Wohnung nur der Lohn für eine erzwungene sexuelle Beziehung waren. Der General erbleicht vor Zorn, brüllt, will auf der Stelle nach Bab al-Aziziya. Aber in dem Moment bricht er zusammen, erleidet einen Schlaganfall und wird ins Krankenhaus gebracht.
Zur selben Zeit erlebt seine Tochter überrascht, wie Gaddafi den Salon betritt, in dem man sie lange hat warten lassen. »Wo ist Aisha?«, fragt sie lächelnd.
»Aisha bin ich!«, erwidert der Führer kalt. Er versucht nicht mal, sie zu verführen oder doch die Form zu wahren. Er vergewaltigt sie, schlägt sie, demütigt sie, so sehr er kann, und das mehrere Male hintereinander. Erst nach einer Woche darf sie Bab al-Aziziya verlassen, um ihren sterbenden Vater in der Klinik zu besuchen. Sein Tod wird die Dinge noch weiter vereinfachen. Wenn Mabruka anruft, um das Mädchen regelmäßignach Bab al-Aziziya zu bestellen, verlangt sie von ihrer Mutter, sie so vorzubereiten, wie der Führer es mag – »Du weißt schon, was dazu gehört« – , und ihre Gliedmaßen mit Henna zu färben.
*
Solcher Geschichten gibt es viele. Und man kann sich im Westen kaum vorstellen, was es bedeutet, sie zu erzählen. Nicht unter dem Aspekt des Traumas: das ist überall das gleiche. Aber im Hinblick auf das Risiko für diese Frauen und ihre Familie. Das Chaos, in dem das – von Waffen starrende – Libyen sich heute einrichtet, potenziert durch das Joch der Religion, schließt im Augenblick noch jede sachliche Diskussion über das Thema aus. Das erklärt, dass ich entgegen der journalistischen Grundregel von der Überprüfbarkeit einer Quelle die Bitte der meisten in diesem Buch erwähnten Frauen respektiert habe, dass ihre Aussage anonym bleibt.
3
Die Amazonen
Die Leibwächterinnen des Obersts Gaddafi – die die internationale Presse gern als seine »Amazonen« titulierte – haben viel zu seiner Legende und seinem Medienruhm beigetragen. Vermutlich haben sie die öffentliche Meinung sogar ebenso stark geprägt wie seine immer bizarrer werdenden
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