Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)
sagt ihren Eltern kein Wort von dem, was ihr passiert ist. Das ist unmöglich. Doch als ihre Mutter sie, wütend über ihr Zuspätkommen, ohrfeigt, schleudert sie ihr ohne jede weitere Erklärung entgegen: »Die Polizei hat mich verhaftet und über meinen Bruder ausgefragt.«
Drei Tage später ruft die Frau sie wieder an. »Ich kann nicht mit dir nach Bab al-Aziziya fahren, aber ein Wagen vom Protokoll wird dich abholen kommen. Denk an deinen Bruder.« So steht Huda also wieder vor Ahmad Ramadan, der sie über den jungen Mann ausfragt und sich Notizen macht. Das beruhigt sie, vielleicht ist der Vorstoß doch nicht umsonst gewesen. Aber sie muss noch den Führer sprechen. Man bringt sie in sein Büro. »Du meinst, dass man einen Verräter so leicht wieder freilässt? Davon träumst du wohl! So einfach geht das nicht! Zumal du so kratzbürstig bist! Und gleich wieder schreien wirst, wenn ich dich anrühre ...«
»Nein, ich will Sie bestimmt nicht verärgern. Aber wann kann mein Bruder freikommen?«
»Du schreist auch nicht mehr? Das versprichst du mir?«
Mit ein paar herrischen Gesten reißt er ihr die Sachen vom Leib, wirft sie auf eine Matratze, die vor einer Bibliothek auf dem Boden liegt, und vergewaltigt sie. Und entfernt sich ohne ein Wort. Niemand sieht nach ihr oder macht sich Gedanken über sie. Sie weiß nicht, wie sie hier rauskommt, und bleibt die ganze Nacht voller Angst in diesem Büro. Ahmad Ramadan findet sie dort am nächsten Morgen und bringt sie in ein kleines Zimmer im Souterrain, doch gerade ist sie am Einschlafen, da kommt Gaddafi zu ihr, vergewaltigt sie von neuem, schlägt sie, beißt sie. Sie blutet heftig. Und bleibt zwei Tage hier eingeschlossen, ohne dass irgendein Mensch ihr zu essen oder zu trinken bringt. Am dritten Tag schickt Ahmad Ramadan sie nach Hause und sagt ihr, dass er sich wieder bei ihr melden wird.
Die Eltern sind entsetzt, in welchem Zustand ihre Tochter nach Hause kommt. Sie hatten sich vor Unruhe verzehrt und kriegen ein Kind zurück, das einen vollkommen zerstörten Eindruck macht. Sie will nicht sprechen, von Fragen bestürmt, murmelt sie nur, dass sie von der Polizeiwache kommt. Und die erschrockene Familie denkt, dass es sicher mit dem Sohn zu tun hat ... Man umringt sie, liebkost sie, will sie unbedingt ins Krankenhaus bringen. Ein Arzt untersucht sie: »Du bist vergewaltigt worden.«
»Ja. Aber ich beschwöre Sie, sagen Sie es nicht meinen Eltern.«
»Man muss Anzeige erstatten.«
»Nein, unmöglich.«
»Sexuelle Beziehung außerhalb der Ehe: Das Gesetz verpflichtet mich, deinen Fall der Polizei zu melden.«
»Wollen Sie es mit Ihrem Leben bezahlen? ...«Gaddafi wird sie nie mehr in Ruhe lassen. Jahrelang muss sie seinen Forderungen nachkommen, seine Wahnvorstellungen, seine Brutalität, seine Hirngespinste über sich ergehen lassen. Sie kann keine Pläne machen, lebt zurückgezogen und in der Angst, der Skandal könnte herauskommen. Ihre Eltern ahnen schließlich, was Sache ist, denn die Protokollfahrzeuge wahren mit der Zeit immer weniger Diskretion, außerdem verlangt Gaddafi ihre Anwesenheit bei seinen zahlreichen Reden. Bei solchen Gelegenheiten bemerkt sie die Schar der anderen Mädchen, die ihr Schicksal teilen. Sie mustern sich, aber reden nicht miteinander. Wie sollen sie auch auf das Thema zu sprechen kommen? Wem sollen sie vertrauen? Eines Tages, in Vorbereitung auf ein öffentliches Ereignis, verlangt der Führer von ihr, sie soll vor laufender Kamera auf ihn zugerannt kommen und ihn umarmen. Sie lässt ihm ausrichten, sie sei krank. Er ruft sie mitten in der Nacht an, bedroht sie, fordert Haltung von ihr und ständige Verfügbarkeit. Sie verliert allen Mut, will nicht mehr leben, ekelt sich selber an. Nach einigen Jahren erscheint ein Verehrer, und sie verliebt sich in ihn. Gaddafi rast vor Zorn. Aber sie heiratet. Und trotz ihrer Angst weigert sie sich fortan, den Befehlen aus Bab al-Aziziya Folge zu leisten. Sie sollte Glück haben. Viele der – nicht vom Herrscher ausgewählten – jungen Männer überleben ihre Hochzeit mit einer Favoritin nicht.
Die Frau und die Tochter des Generals
In diesem Fall war es die Tochter eines Generals, die sich der Wochenzeitung Libya al-Jadida anvertraut hatte; ihr Bericht wurde mir von Chefredakteur Mahmud al-Misrati bestätigt.Oberst Gaddafi, der sich stets auch nach der familiären Situation seiner Untergebenen erkundigte, erfährt eines Tages, dass die Gemahlin eines Generals seiner Armee eine Frau von
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