Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)
für einen Mann, dem man allerlei Seitensprünge und eine große Nähe zum Führer nachsagt. »Er hat sie wie eine warme Mahlzeit verspeist, bis sie den Punkt erreichte, dass sie es hasste, eine Frau zu sein.«
Ich machte mich sofort zum al-Huda-Gefängnis in Misrata auf. Die Vorwürfe, die der Cousin erhob, wogen extrem schwer, und es war meines Wissens das erste Mal, dass ein Mann »der Familie«, dessen Exfrau schließlich Karriere bei der UNO gemacht und sich dort als glühende Verteidigerin des Obersts erwiesen hatte, das Risiko einging, sich auf derart vermintem Gelände zu exponieren. Vor einigen Jahren hatte der aus denselben Gründen genährte Zorn eines anderen Cousins des al-Gaddafa-Stammes zu seiner entsetzlichen öffentlichen Hinrichtung geführt. Man ließ mich vor in das Zimmer von Said Gaddaf Addam, das im Trakt der Krankenstation des Gefängnisses lag, wo ein heilloses Durcheinander aus Koffern, Kartons, Büchern und Medikamenten herrschte. In einer Ecke stand ein Rollstuhl herum.
Gaddafis Cousin empfing mich von seinem Bett aus. Er lagauf der Seite, war in eine braune Jallaba gehüllt und trug einen blauen Turban mit Troddeln. Er hatte den Kopf auf eine seiner fleischigen Hände gestützt. Mit der anderen bediente er sich von einem Teller mit Datteln und anderen Trockenfrüchten. Schlecht rasiert, mit verschlagenem Blick und dickem Bauch, erinnerte er mich an einen abgespannten, dekadenten Pascha auf einem orientalischen Gemälde. Er wurde 1948 geboren, sah jedoch, so wie er dalag, zehn Jahre älter aus, als er war. Er litt an einer partiellen Lähmung, dennoch schien er nicht unzufrieden mit seinem Schicksal zu sein, betonte die Zuvorkommenheit, mit der man ihn behandelte, und dass er nun endlich Zeit habe, seinen dritten Roman zu schreiben.
Ich kam gleich auf das Interview zu sprechen, das er der libyschen Tageszeitung gegeben hatte, und zeigte mich hocherfreut, dass ein Mann aus dem Serail wie er dazu beitrage, die Wahrheit über die sexuellen Verbrechen des Diktators ans Licht zu bringen. Unbehagen machte sich breit ... Er räusperte sich, schüttelte den Kopf, um sich von einer spitzbübischen Troddel zu befreien, die sich aus seinem Turban gelöst hatte, und blickte mich ernst an: »Das ist ein Missverständnis.«
»Wie bitte?«
»Ich habe nie von sexuellem Verbrechen gesprochen.«
»Vielleicht haben Sie es nicht direkt so ausgedrückt, aber Sie haben beschrieben, was Gaddafi unternommen hat, um Sie von Ihrer Frau fernzuhalten, während er sie nötigte ...«
»Meine Exfrau ist mir immer treu gewesen! Meine Ehre ist unangetastet!«
»Es geht nicht um einen Verdacht gegen Ihre Exfrau. Aber Sie werfen Gaddafi vor ...«
»Nichts! Ich werde die Zeitung anzeigen, die diese Dingeerfunden hat. Ich möchte nicht in Verbindung mit dieser Sache in die Geschichte eingehen! Und es gehört sich nicht, dass Mitglieder derselben Familie einander kritisieren!«
Er beharrte unnachgiebig darauf. Unmöglich, auf die Fakten zurückzukommen. Also umkreisten wir sie immer. Keinesfalls würde er seinen Cousin beschuldigen: »Man wühlt nicht in den Gräbern der Toten, Gott allein vermag sie zu richten.« Allerdings war ihm sehr daran gelegen, sich von jeglicher Komplizenschaft reinzuwaschen, und so ging er doch ein bisschen auf Distanz. »Als Intellektueller konnte ich gewisse Verhaltensweisen nicht gutheißen.« Und dann, ein wenig später: »Als Beduine fand ich, dass er unsere Werte verhöhnte.« Schließlich: »Als Militär, der ich 1979 selbst die Al-Saadi-Kaserne hochgezogen habe, wo sich das Grab meines Vaters befindet, war ich entsetzt, dass er den Ort entweihte, indem er all diese Frauen dorthin brachte. Es hat mich angewidert!«
Am Tag nach diesem Gespräch habe ich sofort die Redaktion der Tageszeitung aufgesucht, die die Sache mit der Vergewaltigung veröffentlicht hatte. Said Gaddaf Addam hatte tatsächlich vom Gefängnis aus dort angerufen, äußerst betroffen wegen der empörten Reaktionen seiner Familie auf den Artikel. Doch der Chefredakteur hielt an jedem Wort fest, er bekräftigte, dass Said Gaddaf Addam ohnehin nur bestätigt habe, was ganz Tripolis seit langem wisse. Die Fortsetzung des Interviews (in der es um ein völlig anderes Thema ging) wurde dann in einer weiteren Ausgabe der Zeitung publiziert, diesmal mit einem mittig platzierten Foto des Gaddafi-Cousins, das ihn zeigt, wie er in das Aufnahmegerät seines Interviewpartners spricht. Die Äußerungen des aufbrausenden Verwandten
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