Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)
Terrain. Er war auf der Hut.
»Was dachte ein ranghoher Militär wie Sie, wenn Ihr Führer vor ausländischen Staatschefs mit einer Schar von Leibgardistinnen aufkreuzte, von denen die meisten junge Mätressen ohne jegliche Militärausbildung waren?«
»Ich war nicht für diese Reisen verantwortlich, und ich habe mich geweigert, daran teilzunehmen! Während der kurzen Zeit, in der ich selbst die Schutzbrigade des Führers befehligt habe, waren keine Mädchen dieser ›Spezialeinheit‹ dabei, das kann ich Ihnen versichern!«
»Haben Sie sich durch diese Maskerade nicht beleidigt gefühlt?«
»Was hätte ich sagen sollen? Ich hatte nicht die Hoheit über die libysche Armee! Und selbst wenn ich nicht glücklich darüber war, konnte ich nichts dagegen unternehmen. Frauen sind nicht für die Armee gemacht. Das ist gegen die Natur. Wenn man mich um meine Meinung gebeten hätte, dann hätte es die Militärakademie für Frauen nie gegeben.«
»Hatte Gaddafi tatsächlich daran geglaubt, als er sie 1979 ins Leben rief?«
»Vielleicht. Aber ich glaube, dass diese Akademie ihn vor allem auf die Idee brachte, die Frauen auch anderweitig einzusetzen ...«
Er lachte leise und suchte in dem Blick des Gefängnisdirektors, der sich gerade zu uns gesellt hatte, ein Zeichen männlichen Einverständnisses. In der Art: Sie verstehen sicher, was ich mit »anderweitig einsetzen« meine. Ich fragte ihn daraufhin, ob er die Leibwächterinnen kenne, von denen Soraya mir erzählt hatte, namentlich Salma Milad, die wie ein Schrank gebaut war und stets einen Revolver am Gürtel trug, die über den Führer wachte, ihn überallhin begleitete, seine Kleidung bügelte und ... seine jungen Sklavinnen quälte. Er zögerte nicht. Natürlich hatte er sie gekannt! Er gestand ihr sogar zu, sich eine gewisse Kompetenz an der Militärakademie erworben zu haben. Aber die Vorrangstellung, die Gaddafi ihr eingeräumt hatte, war für ihn absolut inakzeptabel gewesen.
»Das hat mich schockiert, wissen Sie. Ich habe mich sehr für diese zur Schau gestellte Nähe geschämt. Was glauben Sie? Ich habe lautstark dagegen protestiert! Und ich habe ihr nicht den kleinsten Fehler durchgehen lassen, als sie unter meinemBefehl stand. Einmal, als wir auf einer Mission in Kufra waren, im Süden des Landes, habe ich sie über den internen Funkkanal zusammengestaucht. Gaddafi hat die Unterhaltung mitgehört und ist wutschnaubend dazwischengefahren: ›Sprich nie wieder so mit ihr! Du wirst sehen, eines Tages werde ich sie zum General ernennen. Und dann wird sie über dir stehen!‹ Mir pochte das Blut in den Adern. ›Und selbst wenn du sie zum General ernennst, für mich wird sie immer Salma Milad bleiben!‹ Jeder, der mit diesem Netz verbunden war, hat den Wortwechsel mitverfolgt. Gaddafi fühlte sich schwer beleidigt. Wie konnte man es wagen, so mit dem Oberbefehlshaber der Armee zu sprechen? Er schickte ein Flugzeug, das mich abholte, und dann habe ich dreißig Tage im Kerker gesessen. Und? Was denken Sie? Das zeigt Ihnen, dass ich Werte habe. Eine Moral! Eine Grenze, die nicht überschritten werden darf!«
Mansur Dao hielt sich immer weniger zurück. Entgegen der Vorwarnung, dass er sich nicht die kleinste Kritik am Führer erlaube, hatte ich das Gefühl, dass er sich unbedingt von jeder Komplizenschaft im Zusammenhang mit diesem unliebsamen Thema reinwaschen wollte. Er enthüllte nichts, sprach nur in Andeutungen, aber er bestätigte mir, dass die meisten Machenschaften Gaddafis seinem nächsten Umfeld bekannt waren, und wenn er manche Leute dadurch auch gegen sich aufbrachte, kritisiert wurde er nicht. Die Beziehung des Chefs zu Frauen, ob sie nun dem Militär angehörten oder nicht, fiel in den Bereich seiner Privatangelegenheiten. Wer sich ihm in den Weg stellte, bekam den Zorn des Diktators zu spüren. Diejenigen hingegen, die die krankhafte Obsession ihres Gebieters verstanden, ihn darin bestärkten und sie ihm einfacher machten, sicherten sich eine beträchtlicheMacht innerhalb des Regimes. Mansur Dao konnte seine Verachtung nicht verbergen.
»Wie wurde das Ganze organisiert?«
»Unter dem Deckmantel der Protokollabteilung, die Nuri al-Mismari unterstand. Ein Intrigant, der die Dreistigkeit besaß, sich bisweilen in einer Generalsuniform aufzuplustern, und den man den ›General für spezielle Angelegenheiten‹ nannte, um zu vermeiden, die einzig passende Bezeichnung auszusprechen.«
»Die da wäre?«
»Ich traue mich kaum, sie Ihnen zu sagen:
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