Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)
Abdoulaye Wade erklärte öffentlich, er fühle sich »gekränkt«. Außer sich vor Wut rief er sogar Gaddafi an, und es bedurfte zahlreicher Versprechungen und des ganzen diplomatischen Geschicks eines seiner Mitarbeiter – der mir von dem Vorfall erzählte –, um den diplomatischen Bruch zu verhindern und den Schnitzer wieder auszuwetzen.
Mannequins gehörten selbstverständlich zu den Phantasmen des Diktators. In einem Land, in dem mindestens 95 Prozent der Frauen verschleiert sind, organisierte er immer wieder an Feiertagen, bei Festspielen und selbst anlässlich politischerGipfeltreffen Modenschauen. Der nigrische Couturier Alphadi, »Zauberer der Wüste« genannt und Star der afrikanischen Modewelt, bekundet ihm gegenüber übrigens ewige Dankbarkeit.
»O ja, man kann schon sagen, dass Gaddafi mich unterstützt hat! Er hat mir viel Geld gegeben, mir Privatjets zur Verfügung gestellt, meine Modenschauen finanziert. Er hat so sehr an Afrika geglaubt! Und sich ungeheuer eingesetzt für die afrikanische Kultur, insbesondere für die Mode!« Ein aufrichtiges Engagement, tatsächlich? »Absolut! Man muss sich nur vor Augen halten, wie er mir geholfen hat, das FIMA auf die Beine zu stellen, das erste Internationale Festival der afrikanischen Mode. Heute ist dieses Modefestival weltbekannt! Er hat mir Minister, Mannequins aus seinem Land dorthin geschickt. Ich konnte ihn um alles bitten!« Um alles. Das Vergnügen, das Gaddafi hatte, wenn er mit Topmodels verkehrte, war die Zuschüsse und Bevorteilungen des nigrischen Modeschöpfers offenbar wert.
»Aber sagen Sie, Monsieur Alphadi, wussten Sie denn nicht, dass der Führer ein Raubtier war?«
Der Couturier hielt einen Moment inne. Ich bemerkte sein Zögern.
»Es gab Gerüchte, die ihn und sein Umfeld betrafen. Die Libyer sind berüchtigte Draufgänger, ich war mir der Gefahren bewusst. Aber ich habe nie etwas mit Prostitution zu tun gehabt! Und vor einer Modenschau in Sirte zum Beispiel habe ich meine Mädchen zusammengerufen und ihnen eingeschärft: Seid vorsichtig, tut euch immer zusammen und zählt durch, ob alle da sind. Geht nicht allein aus! Gott sei Dank habe ich sie immer alle mit nach Hause gebracht!«Nichts, vor allem nicht die Regeln des Anstands, konnte den Heißhunger des Diktators stillen. Im November 2009 wandte sich sein Protokollchef, ein wirklich findiger Kopf, über seine Schwester an Hostessweb, eine italienische Agentur für Hostessen, um seinem Führer ein Publikum nach dessen Geschmack zu bescheren. Am Rande einer Konferenz der Welternährungsorganisation FAO (Food and Agriculture Organization of the United Nations) über den Hunger in der Welt, die in Rom stattfand, wollte Gaddafi wieder einmal vor einer weiblichen Zuhörerschaft sprechen. Die Agentur, die sehr spät informiert worden war, lancierte also per SMS und im Internet eine Annonce, derzufolge man junge Frauen von mindestens 1,70 Meter Größe suchte, hübsch und gut gekleidet, mit hohen Absätzen, jedoch nicht in Minirock und nicht mit tief ausgeschnittenen Dekolletés. Zweihundert Kandidatinnen kamen zum Bewerbungsgespräch in einem großen Hotel und glaubten – da sie für den gesamten Abend nur 60 Euro erhalten sollten –, als Statistinnen für ein Meeting mit anschließendem Empfang angeheuert zu werden. Keine von ihnen konnte damals ahnen, dass Busse sie zum Domizil des libyschen Botschafters bringen würden, wohin ihnen, zu ihrer großen Überraschung, Muammar al-Gaddafi in einer weißen Limousine folgte, um ihnen einen langen Vortrag zu halten – über den Islam, eine Religion, »die nicht gegen die Frau gerichtet ist«. Ein wahnwitziger Vortrag, mit dem er sie zum Übertritt bewegen und ein paar Unwahrheiten korrigieren wollte: »Ihr glaubt, dass Jesus gekreuzigt wurde, aber das stimmt nicht, Gott hat ihn in den Himmel mitgenommen. Sie haben einen anderen gekreuzigt, der ihm ähnlich sah.« Die jungen Frauen gingen später mit dem Koran und einem Exemplar des »Grünen Buchs« in der Hand nach Hause.
Die x-te in einer langen Reihe von Provokationen? Die Presse und die italienischen Politiker haben sich jedenfalls gründlich aufgeregt darüber und sich gefragt, welche Absichten der Diktator tatsächlich verfolgte. Doch der Leiter der Agentur, Alessandro Londero, bestand darauf: Keines der Mädchen hatte die Nacht im Domizil des Botschafters verbracht. Er habe sie gezählt und wieder gezählt. Es habe sich lediglich um einen »Abend, an dem leidenschaftlich über die
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