Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)
Milad an, die Soldatin, die in Tripolis an der Seite Gaddafis geblieben war: »Bitte den Bruder Führer, Geld für die Prinzessin X freizugeben.« Oder: »Schick mir eine Kassette mit Schmuckanhängern für Botschaftergattinnen.« Sie drehte eine Runde im Kaufhaus Sephora, um die Parfums, die der Harem bestellt hatte, zu besorgen, und rief noch einmal bei Salma mit der Nachfrage an, ob es dem Führer an irgendetwas fehle. Puder, Make-up, ein Produkt der amerikanischen Marke MAC gegen Augenringe? »Es ist für einen etwas älteren Mann gedacht«, erklärte sie dem Verkäufer. »Ein Herr, der ganz Ihrem Typ entspricht.« Der junge Verkäufer war tausend Meilen davon entfernt, sich vorzustellen, dass die Cremes für Gaddafi sein sollten, was die Übersetzerin sehr lustig fand.
Doch Mabruka nahm sich auch die Zeit, durch Luxusgeschäfte zu schlendern oder in besseren Restaurants oder Cafés zu sitzen, um Ausschau nach jungen Frauen zu halten, die sie dann in ein Gespräch verwickelte. Am liebsten waren ihr junge Mädchen aus dem Maghreb oder den Golfstaaten, diesie direkt auf Arabisch ansprechen konnte. Für die anderen nutzte sie die Dienste eines Dolmetschers, der perfekt auf sie eingespielt war.
»Kennen Sie Libyen? Oh, es lohnt sich so sehr, dieses Land einmal kennenzulernen! Hätten Sie Lust, eine Reise dorthin zu unternehmen? Ich lade Sie dazu ein. Ich könnte sogar ein Treffen mit dem Führer für Sie arrangieren!«
Sie ließ sich mit ihrer potentiellen Beute fotografieren und notierte ihre Adresse. Immer und überall war sie auf der Jagd, ihre Mittel und Wege kannten keine Grenzen. Man erzählte mir beispielsweise die Geschichte einer jungen Marokkanerin, die Mabruka in einem Hotel angesprochen und angefleht hatte, ihre Einladung nach Libyen anzunehmen, und die, nachdem sie darauf bestanden hatte, in Begleitung ihres Cousins zu reisen, mit 50 000 Dollar nach Frankreich zurückkehrte.
An einem Abend traf ich mich in Tripolis mit einem Tuareg-Stammesführer, der Mabruka als Jugendliche gekannt hatte und sich bereit erklärte, mir ein paar wichtige Anhaltspunkte zum Leben dieser Frau anzuvertrauen. Wir saßen in einem Restaurant in unmittelbarer Nähe der Altstadt, und ich hatte gerade beschlossen, mir einen Kamel-Couscous zu gönnen. Noch bevor ich meinen Notizblock hervorgeholt hatte, packte mich der Mann mit den vornehmen Manieren und der aristokratischen Feingliedrigkeit, der sich in Jeans und Kaschmirjacke genauso wohl fühlte wie in einer Gandura mit Tuareg-Tuch, beim Arm und erklärte, indem er mir direkt in die Augen sah, mit fester und tiefer Stimme: »Sie ist eine Teufelin.« Er schwieg einen Moment, wie um die Wirkung seiner Worte zu verstärken. Dann fügte er hinzu: »In ihr wohntdas Böse, und sie legt eine beängstigende Geschäftstüchtigkeit an den Tag. Es gibt nichts, vor dem sie zurückschrecken würde, um ihr Ziel zu erreichen: Lügen, Betrug, Verrat, Bestechung, Schwarze Magie. Sie besitzt die nötige Kühnheit und Dreistigkeit, laviert sich geschickt durch wie eine Natter und wäre imstande, Wind in Kisten zu verkaufen.«
Ihr Vater, ein Nachkomme der al-Sharif, war ein adliges Tuareg-Stammesmitglied und ging eine nicht standesgemäße Verbindung ein, als er sich in eine Frau niederer Herkunft aus Ghat verliebte, einer Stadt im Süden Libyens, in der Nähe der algerischen Grenze, unweit von Niger. Das Paar bekam zwei Töchter, Mabruka und ihre ältere Schwester, die man bei Sklaven aufwachsen ließ. Eine Tradition, erklärte mir der Tuareg-Stammesführer, um ein böses Schicksal abzuwenden und »dem Geist des Bösen entgegenzutreten«, wenn die Eltern zuvor kleine Kinder verloren hatten. Mabruka wurde sehr jung mit einem adligen Targi verlobt, doch dann tauchte ein Mann aus dem Stamm Gaddafis auf, Massud Abdul Haffiz, der bereits mit einer Cousine des Führers verheiratet war, und nahm sie plötzlich zur Frau. Er war Befehlshaber der Militärregion von Sabha, und so kam Mabruka eine Zeitlang in den Genuss der zahlreichen Privilegien, die allen aus dem nächsten Umfeld Gaddafis zugestanden wurden – sie fand beispielsweise Geschmack am Reisen unter luxuriösen Bedingungen. Doch der hohe Militär ließ sich schnell wieder von ihr scheiden, und sie kehrte zurück in ihre Heimatstadt Ghat. Anders als die meisten Tuareg-Frauen trug sie nicht die traditionelle Tracht, sondern kleidete sich nach westlicher Manier. »Aber ohne jeden Stil«, bemerkte mein Gesprächspartner. Man wusste, dass sie ein
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