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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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das Leben des Patienten um ein geringes verkürzt. Hier, Herr Norton, besteht ein stillschweigendes Übereinkommen wohl aller Ärzte und Theoretiker, aller Philosophen und auch Priester, das besagt, daß dann – aber nur dann – Euthanasie erlaubt ist. Und zwar deshalb, weil Verminderung des Leidens in den ärztlichen Aufgabenbereich fällt. Wer ist der ›Übermensch‹, der ›Gottähnliche‹, der von uns allen die Grenze weiß?« Ruth Reinhardt atmete tief. »Wenn ein Staat das Morden freigibt, Herr Norton – wo setzt sich das Morden fort? Hier also kann jeder verantwortungsbewußte Mensch nur schreien: Nein! «
    Und danach war es wieder still, lange Zeit.
    »Schwierig wird das Problem«, sagte Ruth Reinhardt endlich, »wenn es sich – und da denke ich allerdings auch an gewisse hoffnungslose Fälle von Kindern – darum handelt, jemanden mit einem sehr großen technischen Aufwand am Leben zu erhalten. Wenn also zum Beispiel ein hirngeschädigtes Kind derartige Atemstörungen hat, daß es drei Jahre an einer Beatmungsmaschine hängt, dann wissen wir: Sein Gehirn ist längst tot. Menschliches Leben ist daher nicht mehr möglich und wird es nie mehr sein. Dann, Herr Norton, darf man den Apparat abschalten, wenn das Beatmungsgerät für einen anderen Menschen gebraucht wird, der noch Lebenschancen hat. Das ist zu vertreten. Das ist aber nicht aktive, sondern passive Euthanasie. Dies sind Einzelfälle, die sich vernünftig und klar lösen lassen. Eine aktive Tötung – selbst auf Verlangen der Eltern! – kommt für keinen Arzt jemals in Frage.« Ruth Reinhardt sprach jetzt gehetzt, es war, als sei ein Staudamm gebrochen, ich hatte Mühe, ihren Worten zu folgen. »Und zwar deshalb nicht, weil es eine ungeheure menschliche Hybris ist zu sagen, eine Existenz sei sinnlos! Wer, Herr Norton, maßt sich an, zu sagen, eine Existenz sei sinnvoll?«
    Ich schwieg.
    »Es ist sehr die Frage, ob ein Genie wie Einstein mit seiner Relativitätstheorie, die uns dann im Endeffekt die Atombombe bescherte, uns wirklich einen so großen Dienst erwiesen hat, ob er wirklich für den Fortschritt zum Guten gewirkt hat!«
    Babs hustete kurz.
    »Und könnte es nicht sein, daß ein hirngeschädigtes Kind, das immerhin vielleicht bei ein paar Menschen ehrlich menschliche Gefühle erweckt, daß so ein armes Kind in seiner Existenz viel sinnvoller ist als der größte Entdecker und Erfinder? Ich frage, Herr Norton: Woher nehmen wir die Kenntnis der Maßstäbe?«
    »Sie haben recht, Frau Doktor«, antwortete ich.
    »Ich weiß nicht, ob ich recht habe«, sagte sie. » Eines weiß ich gewiß : Es ist ein unerträglicher, ja verbrecherischer Hochmut, wenn ein Mensch über die Existenz eines anderen Menschen sagt, sie sei sinnvoll oder sie sei sinnlos. Niemals können wir verwirrten, ohnmächtigen Wesen, die wir auf dieser Erde herumkriechen, das entscheiden. Und niemals werden wir wissen können, welche Bedeutung ein menschliches Leben haben kann, welche unerhörte Bedeutung sogar – oder gerade! – in seiner tiefsten Erbärmlichkeit!«

8
    A n dem Abend, der diesem Vormittag folgte, fuhr ich dann mit Metro und Bus hinaus zu Professor Delamares Klinik und besuchte Sylvia. Sie stand unter der Wirkung von Beruhigungsmitteln, dafür hatte ich gesorgt, und sie sprach wieder langsam und verschmiert und wollte natürlich wissen, wie es Babs gehe. Und natürlich sagte ich ihr, Babs gehe es, seit sie das neue Mittel bekomme – vom ersten Moment an habe da die Wirkung eingesetzt! –, ungemein besser, unvergleichlich besser. »Also wirklich, mein Hexlein, du kannst vollkommen beruhigt sein.«
    »Ja, kann ich?«
    »Ich schwöre es dir … bei meiner Liebe zu dir … bei meinem Leben«, erklärte ich sofort. Ich schwor noch bei einer ganzen Menge anderer Dinge. Mit Sylvia hatte ich es an diesem Tage leicht. Sie sagte, wie glücklich sie sei. Dann sagte sie mir, wie sehr sie mich liebe, daß sie nie mehr ohne mich leben könne, daß sie mich töten werde, wenn ich sie jemals mit einer anderen Frau usw., usw., usw. Es war also bald wie immer. Das heißt, nein, ein wenig anders war es doch. Bracken und ich hatten ihr doch gesagt, daß ich nicht mehr im LE MONDE wohne, wegen der Reporter, sondern im Studio eines Freundes, der verreist sei. Im Siebenten Arrondissement, in der Avenue de Saxe. Und kein Telefon. Leider. Da ging es also los: Was für ein Freund? – Jack Ronston. – Wohin verreist? – Indien. – Wieso kannte sie diesen Jack

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