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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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Über den blauen Lippen des freigelassenen Mundes flatterten lustig ein paar Fäden des Verbandes, sobald Sylvia sprach – mit einer völlig fremden Stimme übrigens, ich hätte sie niemals erkannt, wenn man mir nicht gesagt hätte, daß meine Dame in Zimmer 11 lag. Die war vielleicht noch voll. Oder, dachte ich, hat Schwester Hélène etwas verwechselt, und da liegt eine andere vor mir? Unsinn! Woher sollte eine andere meinen Kosenamen wissen? Nein, nein, das war sie schon, das war schon Sylvia Moran, geliebt von der Welt. Ich sah, wie ein bißchen Blut in die Plastikschläuche sickerte, die dort, wo Sylvias Ohren sein mußten, aus dem Kugelverband kamen, plup, plup, plup, Blut, Luftbläschen, Blut, und wie das Zeug dann seinen Weg nahm durch die dünnen Schläuche tief hinab in das Gefäß unter dem Bett, plop, plop, plop.
    »Es … war … furchtbar … Wölfchen …«
    »Mein armes Hexlein«, sagte ich und atmete dabei so flach wie möglich, denn nun, da sie sprach, erschien mir der Hospitalgeruch hundertmal intensiver. Hoch mein Magen. Runter mein Magen. Die Liebe ist eine Himmelsmacht.
    Wölfchen – so nannte sie mich. Hexlein – so nannte ich sie, beide Namen hatte Sylvia für uns ausgesucht. Sie fand das süß. Weil Liebende sich doch Kosenamen geben. Sagte sie. Verliebte Damen hatten mir ganz andere Namen gegeben und ich, desgleichen verliebt, auch jenen Damen ganz andere. Indessen: Folgsam natürlich war ich sogleich auf Sylvia eingegangen.
    »Ganz … furchtbar …« Dies wiederum deutsch. »Sie haben mich nicht … narkotisieren können … ging einfach nicht …«
    Tja, dachte ich, wenn jemand solche Alkoholmengen gewöhnt ist wie du, tun sich die Herren Ärzte schwer.
    »Immer noch, immer noch … ich spüre sie … habe Angst … nicht weg … nicht weg … mehr, mehr …« Soweit deutsch. Danach französisch, heftig: »Champagner fortnehmen! Unverschämtheit … Weil er Kork hat … Kork!« Und wieder deutsch: »… zu wenig Narkose … war nicht möglich … Kreislauf …«
    »Mein armes Hexlein!«
    Haben Sie schon mal mit so einer weißen Kugel geredet, in der zwei Löcher für die Nase und den Mund sind? Es ist eine besch … es ist eine sehr wenig erfreuliche Situation.
    Deutsch: »Armes Hexlein? Bin ich dein armes Hexlein?«
    »Natürlich!«
    »Und was noch?« Plop. Wieder ein Blutstropfen.
    Plop.
    Noch einer.
    »Mein geliebtes armes Hexlein.«
    »Nur geliebtes?«
    »Mein über alles geliebtes armes Hexlein.« Folgsamer als ich konnte kein Mann sein. Abhängiger auch nicht. (Darum.)
    Sylvia blieb noch beim Deutsch, als sie soufflierte: »Das ich mehr liebe als …«
    »Das ich mehr liebe, als ich jemals geliebt habe, mehr als alles andere auf der Welt«, sagte ich, mit Gefühl. Ich saß unbequem auf einem harten Stuhl. Ich schwitzte jetzt heftig, obgleich ich meinen Mantel beim Zurückkommen an einen Haken des Vorzimmers gehängt hatte. Ich saß da mit dem feuchten Hut auf dem Kopf. Sie sah es ja nicht.
    »Das ich mehr liebe als alles andere auf der Welt«, verkündete heiser, langsam, mit verschmierter, fremder Stimme die in meiner Vorstellung inzwischen grauenhaft gewachsene weiße Kugel. Um übergangslos englisch fortzufahren: »Abstoßen … Mister Joyce, abstoßen … Drei Punkte zuviel … Sind … mein … Broker … Was heißt Zanuck … am Apparat? … Transatlantik-Gespräch … blöde Gans …« Plötzlich deutsch: »… stimmt nicht, Mami … in den Brunnen … Jeden Tag frisches Wasser. Niemand pinkelt hinein … wer hat das … ganze Möbel weggeholt …« Die Stimme war immer langsamer geworden, immer leiser. Jetzt verstummte sie.
    »Hexlein?«
    Nichts.
    »Hexlein!«
    Nichts. Na dann, vielleicht …
    Mit meiner freien Hand versuchte ich vorsichtig, ihre von meiner zu lösen. A tempo, deutsch: »… wenn du mich je verläßt, wenn du mich je betrügst, bringe ich dich um …« Ihre Hand preßte die meine zusammen.
    »Was für ein Unsinn, Hexlein! Niemals könnte ich dich verlassen … Niemals könnte ich dich betrügen!« Zu Suzy durfte ich auch mitten in der Nacht kommen, ihr machte das nichts.
    Stöhnen. Englisch: »Wie oft gesagt … hasse neuen Pancake-Dreck … weicht bei jeder … Katie, bitte etwas Rücksicht!« Lange Pause. Tiefe Atemzüge. Mir das Zeug, mit dem man sie narkotisiert hatte, mitten ins Gesicht. Ich würde mich doch wohl noch übergeben müssen.
    Leise, französisch: »Neue Jacht … Elizabeth … Richard …

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