Niemand ist eine Insel (German Edition)
Wolken?«
»Der war der Dritte im Bunde.«
»Hallo, Phil«, sagte Babs plötzlich. Ich sah zu ihr. Sie hatte die Augen geöffnet und ihr Gesicht zu einer Grimasse verzogen, die wohl ein Lächeln darstellen sollte. Es sah gräßlich aus, aber es war bestimmt ein Lächeln.
Sofort lächelte auch Ruth.
»Hallo, Babs«, sagte ich und neigte mich über sie. »Geht uns schon viel besser, ja?«
»Nicht Madrid«, sagte Babs. Sie sprach sehr undeutlich. Hatte sie alles gehört, was ich Ruth erzählte? Hatte sie nur Madrid gehört?
»Du bleibst schön im Bett, und ich bin ganz schnell wieder da bei dir. Was soll ich dir mitbringen?«
»Nounours.«
Sie schleppte seit Jahren einen kleinen Teddybären mit sich herum, braun, das Fell schon ganz abgeschabt, doch Babs liebte ihn. Der Spielzeugbär mußte im LE MONDE liegen. Jean Gabin hatte ihn Babs geschenkt. Ein kleiner Bär heißt französisch ›nounours‹. Also nannte Babs auch den kleinen Bären von Jean Gabin so.
»Klar bringe ich Nounours mit. Aber willst du nicht vielleicht einen neuen, schönen Bären?«
»Nein. Nounours. Hab nur Nounours lieb.«
»Okay«, sagte ich, »okay.« Babs sprach übrigens deutsch.
»Weilweilweil Nounours …«, begann sie. Dann war sie von einer Sekunde zur anderen eingeschlafen. Sie atmete sehr tief.
»Der Bär«, sagte ich zu Ruth. »Sie träumt von ihrem Bären. In Frankreich …« Ich brach ab, denn ich bemerkte, daß Ruth mich unentwegt ansah. »Was haben Sie?«
»Sie müssen Mrs. Moran anrufen, Herr Norton, und ihr berichten, wie gut es Babs geht. Sagen Sie ihr aber nichts davon, daß Rückfälle möglich sind, und davon, daß wir nicht wissen, wie sich alles entwickelt.«
»Nein, Frau Doktor.« Ich lächelte, aber sie war jetzt wieder ganz ernst. Ich verabschiedete mich gleich, denn Ruth sagte, sie müsse jetzt zu anderen Kindern. Wir gingen auf den Gang hinaus. Ruth wich meinen Blicken jetzt aus. Sie schaute aus dem Fenster und zum Himmel empor.
»Bald wird es schneien«, sagte Ruth.
49
S uch den dreckigen kleinen Bären«, sagte ich.
»Warum?« fragte Bracken.
»Weil ich ihn brauche!«
»Kauf einen anderen! Ich habe jetzt größere Sorgen.«
»Nein, es muß der kleine, dreckige sein«, sagte ich. »Du wirst ihn irgendwo in Babs’ Zimmer finden.«
»Mensch, du weißt ja, was du mich kannst …«
»Du mich auch«, sagte ich. Dann schrie ich plötzlich – weiß der Himmel, warum: »Wenn du Nounours nicht nach Orly bringst, fahre ich ins LE MONDE und suche ihn! Und wenn wir damit alles vermasseln und Wolkens Spur verlieren!«
»Noch ein Verrückter!« sagte Rod. »Scheiß dir bloß nicht gleich in die Hose, du Hysteriker. Ich werde ihn schon finden und mitbringen, deinen dämlichen Bären.«
Wir legten beide die Hörer in die Gabel, ohne uns zu verabschieden. Ich hatte vom Flughafen Nürnberg angerufen. Während des Gespräches waren zum letztenmal die Passagiere des LUFTHANSA-Flugs 482 nach Paris aufgerufen worden. Ich bezahlte im Flughafenpostamt die Gebühren und erwischte dann einen FOLLOW ME-Jeep, der mich zu meiner Maschine brachte, wo sie eben die Gangway hochziehen wollten. Die Stewardessen und der Steward waren so wütend, daß sie während des ganzen Flugs nicht mit mir sprachen. Es gab nur Touristenklasse, die Maschine war halb leer, und ich las eine Nürnberger Zeitung (durch meine Fensterglasbrille) und erfuhr, daß in Vietnam, nahe der alten Kaiserstadt Hue, die schwersten Kämpfe seit Beginn dieses Jahres ausgebrochen waren – mit ungeheueren Menschenopfern auf beiden Seiten. Und dieses Land lebt schon dreißig Jahre im Krieg, dachte ich. Danach dachte ich, daß Babs sehr leicht auch in dreißig Jahren noch schwer behindert sein konnte und ärztliche Hilfe brauchte. Dann war ich sechzig Jahre alt. Und Sylvia sechsundsechzig. Und Ruth …
In Orly traf ich Bracken und Lejeune und Gintzburger. Wir gingen ins Flughafenrestaurant und tranken etwas, und natürlich hielt Lejeune große Reden und war zum Kotzen tüchtig gewesen. Er war wirklich tüchtig gewesen, aber er war eben auch wirklich zum Kotzen.
Dr. Wolken hatte also für die IBERIA-Maschine um 12 Uhr 15 nach Madrid gebucht, er stand auf der Liste, sein Gepäck hatte er schon aufgegeben. Wo er war, wußte niemand. Lejeune ließ ihn suchen, wie er sagte: ›durch meine Leute‹, aber Wolken blieb verschwunden. Natürlich fraß Lejeune wieder, während er berichtete – ein frühes Mittagessen.
»Wenn wir ganz sicher sind, daß Wolken
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