Niemand ist eine Insel (German Edition)
Verkehr, es war also ebenso leicht, Dr. Wolkens Taxi zu folgen, wie es schwer war, von ihm unbemerkt zu bleiben.
Wir fuhren die Autobahn vom Flughafen zur Stadt, in gebührendem Abstand hinter Dr. Wolkens Wagen her, und da erzählte ich dann von meiner Aversion gegen Stierkämpfe. Bracken sagte, er liebe Stierkämpfe. Als wir den breiten Paseo de la Castellana erreichten, erzählte ich, daß ich in Madrid unzählige Male auch Tennis und Golf gespielt hatte.
»Ich bin Mitglied des ›Königlichen Clubs von Puerto Hierro‹ und vom ›Club de Campo‹. Auch geangelt habe ich hier immer. Lachse und Thunfische und Forellen.«
»Fette Lachse?« fragte Lejeune.
»So was von fett haben Sie noch nicht gesehen.«
Der Anwalt beleckte seine Lippen.
»Taubenschießen kann man in La Moraleja«, sagte ich. »Das liegt im Norden, etwa fünfzehn Kilometer vor der Stadt. Habe ich oft getan. Ich war auch im Gebirge auf der Jagd. Da gibt es Steinböcke, Hirsche, Wildschweine.«
»Schönes Leben hast du geführt«, sagte Bracken.
»Ja«, sagte ich, »nicht wahr?« Ich redete und redete und beobachtete Brackens Reaktionen, denn ich war mir immer noch nicht klar darüber, ob nicht auch er eine Rolle spielte in dieser Schweinerei mit diesem Roger Marne, der mich fotografiert und von einem Freund in Paris geredet hatte.
Je länger diese Fahrt hinter Dr. Wolkens Taxi her dauerte, desto klarer wurde mir, daß Bracken nichts damit zu tun haben konnte – es mußte Clarissa sein! Wie ich vermutet hatte. Aus den bekannten Gründen. Clarissa mit Dr. Wolkens Hilfe. Was hatten die beiden jetzt vor? Lejeune war ein schlauer Hund, aber ob er uns in dieser Lage noch retten konnte, wußte ich nicht.
Über die Avenida de José Antonio kamen wir zum Palacio National, hinter dem der große Park Camp del Moro liegt, südlich davon die Calle de Segovia. Hier hatte Professor Salmerón seine Klinik, sagte Bracken. Er war ja mit Lejeune schon einmal hiergewesen, als sie Clarissa herbrachten, dieses elende Luder. Das Taxi mit Dr. Wolken fuhr denn auch brav auf die Klinik zu. Das Klima in Madrid wäre angenehm, wenn nicht ganz in der Nähe das Guadarrama-Gebirge läge. Weil es aber daliegt, sind die Sommer unerträglich heiß, und in den Wintermonaten ist es sehr kalt. Wir trugen Mäntel, aber ich fror dennoch erbärmlich.
Da war die Klinik von Professor Salmerón.
Wir sprachen alle drei einigermaßen Spanisch. Bracken sagte unserem Chauffeur, daß er halten solle. Er hielt etwa zweihundert Meter hinter dem Taxi mit Dr. Wolken. Der stieg aus, und der Chauffeur schleppte seine drei schweren Koffer in das Krankenhaus. Dieser Dr. Wolken betrug sich völlig arg- und harmlos, er sah sich nicht einmal um.
»Dem schlage ich jetzt gleich alle Zähne ein«, sagte Bracken.
»Nein«, sagte Lejeune. »Das werden Sie nicht tun. Fühlen Sie sich so mutig, weil wir zu dritt sind?«
»Ich bin allein mutig genug«, brummte Bracken.
»Mut beweist man aber nicht mit der Faust allein«, sagte Lejeune. »Man braucht auch den Kopf dazu, Monsieur Bracken!«
Ich war auf einmal sehr froh, daß dieses dicke Schwein Lejeune mitgeflogen war. Wir warteten, bis Wolkens Chauffeur abgefahren war, und dann warteten wir noch einmal zehn Minuten, denn ich wollte Dr. Wolken gerne bei Clarissa erwischen. Während der ganzen Zeit läuteten irgendwo Kirchenglocken, und von den wenigen Passanten waren die meisten Priester oder Mönche. Daran muß man sich in Madrid gewöhnen.
Endlich fanden wir es an der Zeit, auch in das Krankenhaus zu gehen. In der Eingangshalle, hinter einem weißen Schreibtisch, saß eine spanische Schönheit mit schwarzem Haar und schwarz funkelnden Augen. Wir grüßten, und sie grüßte auch, und dann sagte ich: »Wir heißen …«
»Señor Kaven und Señor Bracken und Señior Lejeune«, sagte die Schönheit.
»Woher wissen Sie das?«
»Da ist gerade ein Señor Wolken gekommen, der hat gesagt, daß Sie nach ihm erscheinen würden und wie Sie heißen.«
»Wir, Señor Bracken und ich, haben eine Patientin hergebracht vor einigen Tagen«, sagte Lejeune, ohne das geringste Erstaunen über das zu zeigen, was er eben gehört hatte.
»Ich weiß, Señor Lejeune. Señorita Geiringer liegt auf der Privatstation des Herrn Professors.«
»Wir müssen sie dringend sprechen.«
»Herr Professor Salmerón muß Sie ebenfalls dringend sprechen«, sagte das so schöne Mädchen (und komisch, mein Herr Richter, zum erstenmal im Leben dachte ich nicht sofort an das,
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