Niemand ist eine Insel (German Edition)
lassen.«
»Hör mal, Rod …«
»Hör du mal«, sagte er, und der eisige Wind wehte uns jetzt roten Staub in die Gesichter, wir mußten uns umdrehen. »Hör du mal, ja? Ich hab dir doch gesagt, daß ich dir helfen werde. Ich habe es schon getan. Natürlich kannst du nicht Produktionschef sein, ich meine: wirklich, da du nun einmal keine Ahnung hast und außerdem dauernd hin und her fliegen mußt. Bob Cummings.«
»Was ist mit dem?«
»Bester Mann, der in Hollywood zu haben ist. Kennst du den etwa auch nicht?«
»Klar kenne ich den, du Idiot«, sagte ich erbittert. Nichts zu machen mit uns beiden. Wir waren Feinde, und wir blieben Feinde, nichts brachte uns zusammen, nicht einmal die größte Not, nicht einmal die Tatsache, daß wir mit einem Verräter in unserer Gruppe leben mußten, den wir nicht kannten, denn nun stand fest, daß weder Bracken noch Clarissa noch Dr. Wolken sich mit diesem lebensgefährlichen ›Clown‹ Roger Marne in Verbindung gesetzt hatten, sondern jemand anderer, wer, wir wußten es nicht, und statt gemeinsam zu versuchen, diesen Verräter zu finden, gingen wir schon wieder aufeinander los.
»Ich hab mit Bob telefoniert«, sagte Bracken. »Schon vor einiger Zeit. Ihm ist deine Lage – da war noch gar nichts mit Babs – so klar wie dir und mir. Er ist bereit, unter dir als Produktions chef den Produktions leiter zu spielen – und alle Arbeit zu leisten. Und dafür kriegst du auch noch dein dickes Gehalt. Zufrieden?«
Wir sahen einander an. Jetzt hüllte uns der rote Staub richtig ein. Unsere Augen tränten. Ich nickte.
»Passiert schon nichts«, sagte Bracken. »Muß nur jeder wissen, was seine Aufgabe ist und wo er hingehört.«
Na ja, genau, wie ich vermutet hatte.
»Komm jetzt«, sagte er. »Wir wollen zum Flughafen fahren. Wer weiß, was schon wieder in Paris los ist und in Nürnberg. Lejeune holen wir bei Professor Salmerón ab.«
Da er von Salmerón sprach, fiel es mir wieder ein.
»König Lear«, sagte ich.
»Juan Carlos heißt der«, sagte Bracken, »und König ist er auch nicht, sondern nur Thronprätendent, und was hat der mit uns zu tun?«
»Vollidiot«, sagte ich. »König Lear heißt ein Stück von Shakespeare.«
»Ach so, der.«
»Du hast keine Ahnung. Gib’s zu! Ich hab ja auch eben zugegeben, daß ich keine Ahnung habe von was anderem.«
»Schön, ich hab keine Ahnung«, sagte Bracken. »Was ist los mit diesem Scheißkönig?«
»Ich mußte eben an ihn denken. Weil mir immer noch das Gespräch über Euthanasie und Nicht-Euthanasie und diese Frage, ob man besser Geld für geschädigte oder für gesunde Verhungernde ausgeben soll – dieser ganze scheußliche Schlamassel, in dem sich keiner auskennt und keiner die richtige Lösung weiß, am wenigsten die Experten –, weil mir das alles durch den Kopf geht und sich da dreht und dreht und dreht, ich bin schon halb verrückt.«
»Mußt dich zusammennehmen, Mensch«, sagte Bracken. »Was ist mit diesem Lier?«
»In dem Stück gibt es einen Greis. König Lear. Drei Töchter hat er, und er hat nur Unglück um Unglück und wird krank und verliert den Verstand und hat einen einzigen Menschen, der sein Freund ist, Kent heißt der.«
»Wie die Zigarettenmarke«, sagte Bracken.
»Ja«, sagte ich. »Und Clarissa las gerade ›König Lear‹, als ich zu ihr kam, das Buch war aufgeschlagen, und ich habe gelesen, was dieser Kent zum Schluß über den unglücklichen, alten, kranken, von Schmerz zerfressenen König sagt. Daran muß ich nun immerzu denken. Denn wie’s der Teufel will, paßt das zu allem, was ich mir von Frau Doktor Reinhardt und von Professor Salmerón an Argumenten für und gegen die Verkürzung oder Verlängerung des Lebens eines Kranken angehört habe – so lange, bis ich …«
»Reiß dich zusammen!« schrie Bracken. »Wenn du jetzt zu allem anderen auch noch zu spinnen anfängst, dann sind wir wirklich im Arsch! Was war das also? Was hat dieser Kent gesagt?«
»Er sagt: ›Laßt ihn hinübergehen. Der haßt ihn, der auf die Folter dieser rauhen Welt ihn länger spannen will …‹«
»Du meinst also, die, die für Euthanasie sind, haben recht, weil sie den Kranken lieben, und die, die gegen die Euthanasie sind, haben unrecht und hassen den Kranken?«
»Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Ich weiß gar nichts mehr.«
56
K aleidoskop.
BROCKHAUS, Band 3, J – NEU, Seite 53, erste Spalte, links unten, mein Herr Richter:
›Kaleidosk'op (grch.) das, -s/-e, ein optisches Spielzeug:
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