Niemand ist eine Insel (German Edition)
sollte – in der eigens zu diesem Zweck gegründeten Gesellschaft SYRAN PRODUCTIONS. Für 25 Millionen Dollar. Und mit mir als Produktionschef. Die Vorbereitungen liefen seit längerem. Ein Rohdrehbuch lag vor. Schauspieler und Techniker, Architekten und Kameraleute waren bereits unter Vertrag.
An diesem 8. Dezember 1971, es dämmerte bereits, sah hier draußen alles leer und verlassen und tot, entsetzlich tot aus. Das Eingangstor war versperrt. Der Portier saß sicherlich in seinem Häuschen hinter dem Gitter und ließ einen kleinen Kanonenofen glühen. Aus dem Schornstein quoll Rauch, den der Wind sogleich fortriß.
Ich sah durch das Gitter in die Weite des Filmgeländes. Keinen Baum sah ich, keinen Strauch, nichts. Die Erde hier draußen war rot, und das Gelände schien sich, je länger ich es betrachtete, um so mehr auszudehnen – zuletzt erschien es mir grenzenlos. Grenzenlos und grenzenlos leer.
Bald, dachte ich, in wenigen Monaten schon, wird es da von Arbeitern wimmeln, und dann wird dieses Gelände nicht mehr grenzenlos und nicht mehr grenzenlos leer sein, sondern – ich hatte die ersten Zeichnungen und Entwürfe der Architekten gesehen – dicht besetzt mit gigantischen Prachtbauten ebenso wie mit armseligen Bauerngehöften, Stallungen für Pferde, Unterkünften für die Panzerreiter, Triumphbögen und Galgen, einer ganzen Hauptstadt. Die gewaltigen Säulen rund um den weiten Vorhof des prunkvollen Palastes, Sitz des Gouverneurs Georgi Abaschwili, des Herrschers über die Provinz Grusinien im Kaukasus – Herrschers dort vor vielen hundert Jahren –, werden dann in den Himmel Madrids des Jahres 1972 ragen.
Amerikanische und spanische Architekten, spanische Arbeiter werden diese Scheinwelt des Films schaffen, in den Büros der Verwaltungsblocks werden amerikanische und spanische Aufnahmeleiter, Außenrequisiteure, Innenrequisiteure sitzen, in den Schneideräumen werden amerikanische Cutter und Cutterinnen sich einnisten, die Schminkräume für die Komparsen werden bereit gemacht werden ebenso wie die Einzelgarderoben der Stars. Plötzlich glaubte ich wieder die Produktionslisten zu sehen, die in Sylvias und meinem Appartement 419 im LE MONDE in Paris lagen, glaubte Worte zu sehen, Zahlen …
Produktionsstab. Regiestab. Bau- und Ausstattungsstab. Zahlen. Geländebau. Geländedreh. Ton-Apparatur. Zahlen. Zahlen. Filmmaterial. Bearbeitung. Kopierwerk. Versicherung. Reisekosten. Tagesdiäten. Finanzierungskosten. Zahlen. Zahlen. Zahlen …
Ich hielt mich an einem Eisenstab des Gitters fest und sah in die Tiefe des Geländes hinein. In die dämmrige Leere. In die dämmrige Unendlichkeit. Rot war die Erde hier. Cerebralgeschädigtes Kind. Behindertes Kind. Ein Leben lang behindert? Wie? Wo? Ruth. Sylvia. Fünfundzwanzig Millionen Dollar. Produktionschef Philip Kaven. SEVEN STARS. Anwälte. Ärzte. Joe Gintzburger. Ich bin Malechamawitz, der ›Engel des Todes‹. So viele Huckepacks! So viele Flugzeuge! So viele Pflichten. So wenig Kraft. So wenig Mut.
»Was is’n los mit dir?« fragte Bracken. Er hatte bisher kein Wort gesprochen. Ob er mich absichtlich noch hierhergebracht hat, dachte ich, um mir zu zeigen, was für ein Nichts ich bin, was mich erwartet?
»Alles okay«, sagte ich.
»Na fein«, sagte Bracken. »Prima, Junge. Wollte, daß du das hier mal siehst. Natürlich werden wir auch in Zaragoza drehen und bei Barcelona, die Regieassistenten von da Cava haben da schon Motive ausgesucht, aber wir haben uns noch nicht entschieden, und rauf in den Schnee, in die Pyrenäen müssen wir auch. Aber hier geht’s los, hier werden wir viele Wochen sein, und hier – was ist?«
Dieses verfluchte Schwein, das war also der Bumerang.
»Ich kann doch nicht viele Wochen hier sein, Rod«, sagte ich. »Das weißt du genau. Ich muß doch auch bei Babs sein.«
»Du wirst eben mal bei Babs und mal hier sein. Anstrengend, gebe ich zu. Drehzeit sechs Monate geplant. Wird sicher überschritten werden. Schlimme Monate für dich. Aber du mußt einfach hier und bei Babs sein, das weißt du!«
»Ich weiß es«, sagte ich, »aber ich kann’s doch nicht. Und das weißt du! Du weißt, daß ich’s nicht kann.«
»Bei Babs und hier sein?«
»Spiel nicht den Blöden! Produktionschef kann ich nicht sein bei diesem Monstrefilm! Ich habe doch keine Ahnung, wie …«
»Klar hast du keine Ahnung. Aber Sylvia mußte ja unbedingt dich Trottel als Produktionschef der SYRAN PRODUCTIONS ins Firmenregister eintragen
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