Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
Vom Netzwerk:
unregelmäßig liegende bunte Glasstückchen o.ä. ordnen sich in einem Winkelspiegel zum Bild eines regelmäßigen, meist sechsstrahligen Sterns; 1817 erfunden; Sinnbild ständig wechselnder Eindrücke.‹
    Das war es, wonach ich suchte: ein Sinnbild ständig wechselnder Eindrücke. Vorhin hatte ich mir den Lexikonband aus unserer Gefängnisbibliothek in die Zelle bringen lassen.
    Kaleidoskop, ja. Wenn ich jetzt an jene Zeit zurückdenke, die dem ersten Flug nach Madrid folgte, dann war es eine Zeit, in der die Eindrücke, Ereignisse und Zwischenfälle sich immer mehr und mehr häuften, immer schneller und schneller aufeinanderfolgten, so daß ich in einen wilden Taumel geriet.
    Natürlich gab es in dem Geschehen, das nun anfing, sich zu überstürzen, Situationen, die optisch und phonetisch getreu haften geblieben sind in meinem Gehirn – ihrer Schwere, ihrer Süße, ihrer Innigkeit, ihrer Schönheit, ihrer Schrecklichkeit, ihrer Gemeinheit oder ihrer Gefährlichkeit wegen. Die kann und werde ich ausführlich niederschreiben. Sonst aber, mein Herr Richter, benutze ich jetzt für eine Weile mein Tagebuch und die Aufzeichnungen darin …
    Noch am Abend des 8. Dezember 1971 kehrten Lejeune, Bracken und ich nach Paris zurück und erstatteten Joe und den Anwälten Bericht. Sylvia hatte schon dreimal aus der Klinik Delamare angerufen. Warum meldete ich mich nicht aus Nürnberg? Was war mit Babs? Also rief ich Sylvia an.
    »Mein Hexlein, alles mit Babs geht seinen guten Weg. Die Ärzte sind mehr als zufrieden, du kannst ganz beruhigt sein.«
    »Wo bist du?«
    »In Paris, im LE MONDE.«
    »Wieso …«
    »Reg dich doch nicht gleich so auf! Babs wollte den alten Nounours, den ihr Jean geschenkt hat.«
    »Ach Gott …«
    »Du siehst, sie ist klar, sie erinnert sich. Sie wird von Tag zu Tag gesünder. Das mußte ich auch allen in Paris sagen. Und ich brauchte unbedingt Wintersachen. Es ist eiskalt in Nürnberg. Darum bin ich hier. Ich fliege morgen früh zurück nach Nürnberg. Und dann rufe ich sofort wieder an, wenn ich Babs gesehen habe.«

    Donnerstag, 9. Dezember: Mit der Frühmaschine als Philip Norton (Brille!) zurück nach Nürnberg. Sofort Klinik. Erzähle Ruth von meinen Erlebnissen. Ruth sagt: »Ich verstehe diesen Doktor Wolken. Ich kenne natürlich alle Pro-Euthanasie-Argumente und die Argumente hinsichtlich der kranken und der gesunden, zum Hungertod verurteilten Kinder. All das ist deshalb so schrecklich, weil so viel Wahrheit damit verbunden ist. Aber ich, Herr Norton, ich kann diese Argumente nicht zu den meinen machen, niemals, ich werde, solange ich dazu fähig bin, für die kranken, die hilflosen Kinder plädieren!«
    Wir gehen zu Babs. Sie herzt den kleinen Bären. Kein Wort über Sylvia. Ob ich nun immer bei ihr bleiben werde, will Babs wissen. Natürlich sage ich ja. Mit dem schmutzigen Nounours im Arm schläft Babs sofort ein. Ich habe Ruth wieder lächeln sehen.

    Freitag, 10., bis Donnerstag, 16. Dezember: Ich bleibe in Nürnberg. Täglich bei Babs. Stetige langsame Besserung. Andere Medikation. Temperatur sinkt. Lichtscheu schwindet. Lähmungserscheinungen des linken Armes und des linken Fußes gehen zurück. Ununterbrochen Telefonate mit Joe (der sich entschlossen hat, noch bis Weihnachten in Paris zu bleiben mit seinem ganzen Troß, falls etwas passiert), mit Sylvia, deren Stimme mehr und mehr verändert klingt, die nicht, wie früher stets, auch im Privatleben schauspielert. Sylvia ist glücklich. Sylvia ist sehr allein. Sylvia sagt, es gebe nichts, was sie nicht tun oder ertragen würde, wenn nur ihr Kind wieder ganz gesund wird. Natürlich lasse ich sie in dem Glauben, daß Babs wieder ganz gesund werden kann.
    An die Hornbrille mit Fensterglas habe ich mich bereits so gewöhnt, daß ich – sanfter Wahnsinn! – nicht gut zu sehen glaube, wenn ich sie einmal zu tragen vergesse. Ruths Kommentar: »Paßt Ihnen ausgezeichnet, die Brille, also wirklich. Sie sehen wie ein Intellektueller aus.« Schock! Frauen haben mich als so ziemlich alles bezeichnet, was einem Mann zusteht oder was er verdient. »Intellektueller« hat noch keine zu mir gesagt. Ruth ist die erste. Ich bin ein Intellektueller …

    Dienstag, 14. Dezember, nachts Anruf im BRISTOL: Suzy Sylvestre aus Paris. Da sie ja eingeweiht ist, hat Rod ihr meine Telefonnummer gegeben. Suzy, mächtig angetrunken, sagt: »François ist zurückgekommen.«
    »Wer ist – ach so, dein Graf!«
    »Ja.«
    »Aber der wollte doch noch in

Weitere Kostenlose Bücher