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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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wurde Abend. Sylvia und ich fuhren zum Flughafen. Hinter uns der Konvoi der Fotoreporter. Sie machten immer noch Bilder, bis ich auf der obersten Stufe der Gangway stand, mit Sylvia, die mich leidenschaftlich küßte. Dieses Foto müssen Sie gesehen haben, mein Herr Richter. Es ist um die ganze Welt gegangen.
    Bracken, der alles dirigierte, schrie: »Schluß jetzt! Bitte, Freunde! Ihr habt die beiden einen ganzen Tag gehabt!« Die Fotografen hörten sofort auf zu arbeiten. Ich wollte Sylvia einen normalen Kuß zum Abschied geben. Sie schob mich weg, ich denke, sie war nahe daran, sich zu übergeben. Sie lächelte, als sie sagte: »Ich liebe nur dich, Wölfchen. Ich werde immer nur dich lieben, das schwöre ich. Aber wenn du mich jetzt auch nur noch einmal anrührst, bekomme ich einen Schreikrampf.«
    25 Millionen, mein Herr Richter.
    Und »Seien Sie ganz ohne Sorge« hatte Dr. Collins gesagt.
    Und vier Detektive aus Los Angeles, nun in Madrid.
    Und ein hirngeschädigtes Kind nahe Nürnberg. Ich mußte zurück.
    Ruth!
    Ich mußte zu Ruth!

18
    I ch bin sehr glücklich, mit Ihnen sprechen zu können«, sagte Lucien Bayard, einer der Nachtportiers des Hotels LE MONDE. Er strahlte über das ganze Gesicht, in dem es dabei aber ununterbrochen zuckte, als könne Lucien sein Strahlen nicht über längere Zeit aufrechterhalten. Ich saß in dem Ruheraum der Nachtportiers hinter der Wand mit den Schlüsselfächern, er auf der Couch, ich in einem Sessel. Der Fernsehapparat lief, im zweiten Programm gab es einen alten amerikanischen Spielfilm – DIE BESTEN JAHRE UNSERES LEBENS –, UND LUCIEN HATTE DEN TON WEGGEDREHT UND NUR DAS BILD LAUFEN LASSEN, DENN NACH DEM SPIELFILM, HATTE ER GESAGT, KAMEN DIE LETZTEN NACHRICHTEN VON INF 2, UND LÉON ZITRONE WÜRDE ÜBER DAS RENNEN AM MORGIGEN SONNTAG IN CHANTILLY SPRECHEN UND SEINE MEINUNG ÜBER DIE PFERDE SAGEN. DAS TAT ER IMMER. ER WAR FRANKREICHS PFERDESPEZIALIST, LÉON ZITRONE, DIESER HERVORRAGENDE POLITISCHE REPORTER FÜR Paris Match, ANDERE ZEITSCHRIFTEN, FÜR FUNK UND FERNSEHEN, DER MANN, DEN DER REGIERUNGSCHEF – WER ES AUCH WAR – SEIT JAHRZEHNTEN MITNAHM, WENN ER NACH MOSKAU REISTE ODER WENN SOWJETISCHE GÄSTE FRANKREICH BESUCHTEN, DENN LÉON ZITRONE SPRACH FLIEßEND RUSSISCH – ER WAR EINE NATIONALE INSTITUTION. DIE NACHRICHTEN KAMEN GEGEN 23 UHR, UND ALS ICH ZU LUCIEN TRAT, WAR ES KNAPP VOR 22 UHR AM HEIßEN ABEND DIESES 26. AUGUST 1972, EINEM SAMSTAG. WIR WAREN ERST UM 20 UHR 35 IN ORLY GELANDET, DIE SUPER-ONE-ELEVEN mit Lejeune und dem kleinen Dr. Lévy. Die Gewitterfront hatten wir in Südfrankreich getroffen, in Paris war es schwül, windstill, und die Stadt war halb leer – große Ferien immer noch. Es hatte eine Weile gedauert, bis wir uns alle voneinander verabschiedet hatten.
    Lejeune nahm ein Taxi, ich fuhr Dr. Lévy in meinem Maserati Ghibli heim, der in Orly parkte. Dann fuhr ich ins LE MONDE, nun ja, und als ich da ankam, war es knapp vor 22 Uhr. Es ging keine Maschine nach Nürnberg mehr, ich hatte für die Frühmaschine des 27. gebucht, und ich mußte mich ja im LE MONDE wieder umziehen und in Philip Norton verwandeln, nicht wahr. Das Hotel stand fast ganz leer, sagte mir Lucien nach unserer Begrüßung (er arbeitete noch immer mit dem schweigsamen, höflichen Jean Perrotin zusammen). Ich sah keinen Menschen in der Halle. Gott sei Dank. Und so war ich eben gleich zu Lucien gegangen, der mein Gepäck – das feine – auf 419 bringen ließ. Lucien sagte, er müsse mit mir sprechen. Das tat er jetzt auch, während die stummen Bilder von William Wylers berühmtem Nachkriegsfilm über die Mattscheibe flimmerten. Perrotin hatte sich taktvoll zurückgezogen – er stand draußen, an seinem Desk, und Lucien sprach leise.
    »Da ist gestern ein Brief abgegeben worden für Sie, Monsieur Kaven.«
    »Von wem?«
    »Einem Boten. Irgendeinem Boten. Die Tagesportiers haben nicht aufgepaßt. Keine Ahnung, wer das war. Aber als ich die Schrift auf dem Umschlag sah, da erschrak ich, Monsieur Kaven. Ich kenne diese Schrift … Sie doch auch.«
    Ja, ich kannte sie.
    Es war die Schrift Clarissa Geiringers. Clarissa – Babs’ Kindermädchen! Mir wurde sehr warm, als ich den Umschlag aufriß. Sehen Sie, mein Herr Richter: Seit jener Pressekonferenz im ›Blauen Salon‹ des LE MONDE, auf der Sylvia erklärt hatte, daß Babs nun in ein Internat müsse und aus der Öffentlichkeit verschwinden werde – am Mittwoch, dem 15. März 1972, war das gewesen –, hatten

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